Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 110, Nr. 20, 16.10.2020, (1918) ZAHNSCHMELZHYPOPLASIEN MIH – alter Wein in neuen Schläuchen? Peter Gängler, A. Rainer Jordan, Tomas Lang, Monika Kolski, Falk Schwendicke Die Erstbeschreibung der symmetrischen nicht-erblichen Zahnanomalie als Hypoplasie erfolgte im August 1893 auf dem Second World Dental Congress in Chicago durch Dr. Otto Zsigmondy (Wien). Darauf aufbauend schuf Dr. J. Berten (Würzburg) in seiner Habilitationsschrift „Hypoplasie des Schmelzes“ 1895 die erste Tabelle der „Verkalkung der bleibenden Zähne“ von der Geburt bis zum achten Lebensjahr – ein Vorläufer der Zeittafeln von Schour und Massler. Akribisch beschrieb er aus Untersuchungen an 3.347 Schulkindern 246 Fälle von Hypoplasie und ordnete diese – immer noch gültigen – Ursachen und Entstehungsmechanismen zu. Bis heute ist die verbindliche Krankheitsbezeichnung in der ICD-10-WHO-Version 2019/2021 die Zahnschmelzhypoplasie. A nomalien der Zahnhartsubstan- zen, die bereits beim Zahn- durchbruch in Erscheinung treten, entstehen durch Störungen bei der Bildung von Schmelz und Dentin. Genetisch bedingte strukturelle Ano- malien werden Dysplasien genannt. Diejenigen Strukturanomalien, die nicht genetisch bedingt sind, heißen Hypoplasien. Wenn die (Zahn-) Schmelzproduktion in bestimmten Be- reichen ganz ausbleibt, spricht man von einer Aplasie. Schließlich sind nichthypoplastische Zahnverfärbungen zu differenzieren, die beispielsweise durch bestimmte Medikamenten- einnahmen (zum Beispiel Tetrazykline) während der Schmelzbildung hervor- gerufen werden können. Schmelz- hypoplasien entstehen durch Trauma oder metabolische Störungen der Ame- loblasten. Ihre Lokalisation entspricht dem Zeitpunkt der Störung in der prä- eruptiven Zahnentwicklung: Bei lokaler Ursache finden sich die Hypoplasien an Einzelzähnen; bei systemischer Ein- wirkung entstehen sie symmetrisch an allen Zähnen, die zur gegebenen Zeit mineralisiert wurden. Seit einiger Zeit macht der Begriff der MIH (Molaren-Inzisivi-Hypominerali- sation) auf sich aufmerksam, so dass man den Eindruck gewinnen könnte, es handele sich hier um ein neues Erkrankungsbild in der Zahnmedizin. Ausgehend von einem Workshop im Jahr 2003 der European Academy of Paediatric Dentistry (EADP) wurde der Begriff Hypomineralisation von Weerheijm vorgeschlagen, auch wenn sie selbst konstatierte, dass dieser Be- griff möglicherweise nur temporär zu verwenden sei, bis es einen terminolo- gischen Konsens gäbe. Zwar handelt es PROF. DR. DR. H. C. PETER GÄNGLER ORMED, Institute for Oral Medicine at the University of Witten/Herdecke Alfred-Herrhausen-Str. 45, 58455 Witten peter.gaengler@uni-wh.de Foto: privat Foto: Gängler, Lang Abb. 1: Weiße opake Flecken an 31 und 41: Entstehung zwischen dem siebten und dem zwölften Lebensmonat Foto: Gängler, Lang Abb. 2: Weiße opake Flecken an 12, 22, 33; Schmelzaplasie mit wulstigen Rändern an 31 und 41; Schmelzaplasie mit freiliegendem hypoplastischem Dentin und Schmelzabbrüchen an 11, 21, 32, 42 und 43: Entstehung zwischen dem ersten und dem zweiten Lebensjahr 24 | ZAHNMEDIZIN

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