Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 110, Nr. 20, 16.10.2020, (1964) EXPERTENKONSENS VON ORCA UND EFCD/DGZ – TEIL 2 Kariesmanagement bei Erwachsenen Falk Schwendicke, Sebastian Paris, Christian H. Splieth Karies galt viele Jahre als „Kinderkrankheit“ – dies beruhte auf epidemiologischen Studien, die über keine signifikante Karieszunahme bei Erwachsenen berichteten. Wie jedoch aus Kohortenstudien, die Individuen von Geburt an bis ins Erwachsenenalter hinein beobachtet haben, hervorgeht, scheint das Kariesinkrement (Zunahme an Karies pro Zahnfläche und Jahr) von der Kindheit bis ins Erwachsenenleben ziemlich stabil zu bleiben [Broadbent et al., 2013]. Heute steht fest: Karies ist und bleibt auch unter den Bedingungen einer in den vergan- genen Dekaden stark verbesserten Mundhygiene in der Bevölkerung weiterhin eine Erkrankung, die Erwachsene betrifft. K aries tritt bei Erwachsenen pri- mär an den Approximalflächen auf oder ist mit bestehenden Res- taurationen (Sekundärkaries) an blei- benden Zähnen assoziiert. Die Gründe, warum Approximal- und Sekundär- karies bei Erwachsenen häufige Karies- formen darstellen, sind vielfältig: \ Okklusale Läsionen werden entwe- der durch Fissurenversiegelungen langfristig erfolgreich verhindert oder die Okklusalflächen werden bereits im Kindesalter (kurz nach dem Durchbruch) restauriert. Bei Erwachsenen sind die Inzidenz- und Progressionsraten okklusaler Läsionen demnach relativ niedrig, weil entweder keine Karies mehr auftreten kann, da die Fläche versiegelt beziehungsweise bereits gefüllt ist, oder weil die Selbst- reinigung zu diesem Zeitpunkt besser möglich ist. \ Freiliegende Wurzeloberflächen sind in dieser Altersgruppe oft nicht vorhanden. Erst später und in Verbindung mit einem reduzierten Parodontium (mit oder ohne zugrunde liegender Parodontitis) treten häufiger kariöse Läsionen der Wurzeloberfläche auf. \ Auf den Approximalflächen von bleibenden Zähnen entwickeln sich kariöse Läsionen gewöhnlich relativ langsam. Bei Patienten mit geringem Kariesrisiko können mehrere Jahre oder Jahrzehnte vergehen, bis eine röntgenologisch erkennbare Läsion auftritt: Dies geschieht dann häufig erst im Erwachsenenalter. Eine Ausnahme bildet die mesiale Oberfläche der ersten permanenten Molaren, die während der Kindheit länger in Kontakt mit der distalen Ober- fläche des zweiten Milchmolaren steht; hier kann es bereits im jugendlichen Alter zu detektier- barer Karies kommen. \ Sekundärkaries ist definitionsgemäß mit bestehenden Restaurationen assoziiert, wobei approximal ausgedehnte Restaurationen im Vergleich zu okklusal begrenzten Restaurationen ein erhöhtes Risiko aufweisen. Sie treten später im Erwachsenenalter auf, zumal viele jüngere Erwachsene heute weniger Restaurationen haben, die überhaupt Sekundärkaries bekommen können. Karies im Milchgebiss und okklusale Karies sind daher eher in Kindern, Wurzelkaries ist also eher in älteren Erwachsenen/Senioren zu finden. Die entsprechenden Empfehlungen des DREITEILIGE ZM-REIHE EMPFEHLUNGEN ZUM KARIESMANAGEMENT In einem Konsensusprozess haben die European Organisation for Caries Research (ORCA) und die European Federation of Conservative Dentistry (EFCD) inklusive der Deut- schen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) Empfehlungen zum Karies- management erarbeitet. Grundlage waren mehrere systematische Reviews; die Empfehlungen wurden im Juni 2019 in einem Experten- Workshop diskutiert und mittels eines „e-Delphis“ finalisiert. Bei diesem Onlinekonsensusverfahren stimmten 24 durch die Fachgesell- schaften entsandte Delegierte über die Empfehlungen ab. Die Ergebnisse wurden in den Zeitschriften „Caries Research“ und „Clinical Oral Investi- gations“ publiziert. In drei Beiträgen werden in der zm die zentralen Aussagen zum Kariesmanagement für die Altersgruppen Kinder (zm 19/2020, S. 42–49, oder über den QR-Code), Erwachsene (zm 20/2020) und Senioren (zm 21/2020) vorgestellt. Foto: DGZ Arbeitsgruppe aus Experten der ORCA und der EFCD/DGZ 70 | ZAHNMEDIZIN

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