Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20
zm 110, Nr. 20, 16.10.2020, (1972) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Werner Rohde – Vom niedergelassenen Zahnarzt zum KZ-Arzt in Auschwitz Julia Fastnacht, Dominik Groß, Mathias Schmidt Der Name des Zahnarztes und Arztes Werner Rohde (1904–1946) wird heutzutage meist in Verbindung mit der Ermordung britischer Agentinnen im KZ Natzweiler-Struthof 1944 genannt. Das ist aber nicht das einzige Verbrechen, das er während des Zweiten Weltkriegs begangen hat. Um seine Rolle innerhalb der SS aufzuzeigen, ziehen die Autoren auch Akten aus dem Bundesarchiv in Berlin und Unterlagen von NS-Prozessen nach 1945 heran. J ulius Alfred Werner Rohde wurde am 11. Juni 1904 in Marburg an der Lahn geboren. 1 Er entstammt damit wie viele andere NS-Täter der Kriegsjugendgeneration, deren Ange- hörige die Ereignisse während des Ersten Weltkriegs bewusst erlebten, aber noch nicht selbst am Krieg teil- nehmen konnten, was später bei vielen zu einer Radikalisierung führte. 2 Zu diesem Personenkreis gehören eben- falls die in dieser Reihe 3 bereits behan- delten SS-Zahnärzte Hermann Pook 4 (geb. 1901), Helmut Johannsen 5 (geb. 1908), Walter Sonntag 6 (geb. 1907) und Helmut Kunz 7 (geb. 1910). Rohdes Vater war der Lehrer Albert Richard Rohde, die Mutter Katharina Margarete, geborene Schröder. 8 Er hatte eine Schwester und einen Bruder, der später als Arbeitsführer arbeitete. 9 Nach dem Abitur am Realgymnasium stu- dierte Rohde Zahnheilkunde an der Philipps-Universität Marburg und be- stand am 5. Dezember 1929 die zahn- ärztliche Prüfung. 10 Im Januar 1930 er- hielt er die Approbation als Zahnarzt 11 und promovierte am 21. März in Mar- burg mit dem fachfremden Thema „Ein Fall von Syringocystadenom“. 12 Im April 1930 heiratete er Katharine Sophie Braun (geb. am 20. Juli 1907) aus Marburg. Sie lebten dort gemeinsam in der Savignystraße 9. 13 Anschließend zog das Ehepaar nach Goddelau im südhessischen Kreis Groß-Gerau, wo sich Rohde als Zahnarzt in eigener Pra- xis niederließ. 14 Am 20. Juli 1935 kam die gemeinsame Tochter Hildegard zur Welt. 15 Weitere Kinder blieben dem Paar versagt. 16 VERMUTLICH WAR ER SCHON BEIM „HITLERPUTSCH“ DABEI Wahrscheinlich war Rohde bereits 1923 Teil der NS-Bewegung und hatte am „Hitlerputsch“ am 9. November 1923 teilgenommen, die Partei aber nach eigenen – durchaus glaubhaften – Angaben aufgrund seines Studiums wieder verlassen. 17 Am 23. März 1933 trat Rohde dann der SA 18 und am 1. April 1933 – erneut – der NSDAP bei (Nr. 1.663.050). 19 Damit zählt er eigent- lich zu den sogenannten Märzgefal- lenen: Dieser zeitgenössische Begriff be- zeichnet – abfällig – diejenigen, die zeitnah nach der für die NSDAP sehr erfolgreichen Reichstagswahl Anfang März 1933 die Parteimitgliedschaft beantragten, was von „überzeugten“ Nationalsozialisten als Opportunismus gewertet wurde. Bei Rohde lag der Fall jedoch anders: Sein frühes Engagement während des „Hitlerputsches“ wurde offenbar anerkannt, da er sogar für die Verleihung des „Blutordens“, das „Ehrenzeichen des 9. November 1923“, vorgeschlagen wurde. 20 Auch Rohdes Frau trat später in die Partei ein. 21 Innerhalb der SA war Rohde ehren- amtlich als Zahnarzt tätig und diente 1933 vier Wochen als Freiwilliger bei einer Polizeieinheit. Im Januar 1936 trat er von der inzwischen weitgehend entmachteten SA in die weitaus bedeutendere SS über. 22 Damit drückte er seine politische Gesinnung deutlich aus, immerhin hatte die SS den Anspruch, die neue „rassische Elite“ des Nationalsozialismus zu stellen. Darüber hinaus trat er am 5. Mai 1937 aus der evangelischen Kirche aus 23 – ein weiterer Ausdruck der Identifikation 1 BA Berlin, SS-Stammblatt; Stadtarchiv Marburg, Geburtenregistereintrag Rohde; 2 Wildt, 2003; Herbert, 1996; 3 Gross/Krischel, 2020; 4 Schmidt/Groß/ Westemeier, 2018; Groß, 2020; 5 Arndt/Groß/Schmidt, 2020; 6 Groß/Rinnen, 2020; 7 Heit et al., 2019; Groß/Heit/Schmidt, 2020; 8 HHStAW, Kopie der Sterbeurkunde; 9 BA Berlin, Abschrift Feldurteil (Dresden) vom 11.12.1942; 10 BA Berlin, SS-Stammblatt; Archiv Philipps-Universität Marburg, 307 c, Nr.3282; 11 BA Berlin, Abschrift der am 15.01.1930 ausgestellten Approbationsurkunde für Werner Rohde; 12 BA Berlin, Abschrift der am 21.03.1930 ausgestellten Promotionsurkunde für Werner Rohde; Rohde, 1930; 13 HHStAW, Kopie der Sterbeurkunde; BA Berlin, SS-Stammblatt; 14 BA Berlin, Abschrift der am 23.05.1936 ausgestellten Mitgliedskarte des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes; HStAD, Bestand N1 in 161; 15 BA Berlin, SS-Stammblatt. 16 BA Berlin, Erklärung Werner Rohdes über die fachärztliche Untersuchung seiner Frau vom 05.06.1944; 17 BA Berlin, SS-Stammblatt; BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 08.07.1939; Aumüller et al., 2001, 723f; 18 BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 08.07.1939; 19 BA Berlin, SS-Stammblatt; 20 BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 08.07.1939; 21 BA Berlin, SS-Stammblatt; 22 BA Berlin, SS-Stammblatt; BA Berlin, Abschrift Feldurteil (Dresden) vom 11.12.1942; 23 BA Berlin, SS-Stammblatt Werner Rohde um 1935 Foto: BA Berlin, R 9361 III/165249 78 | GESELLSCHAFT
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