Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20
zm 110, Nr. 20, 16.10.2020, (1973) mit der SS-Ideologie, zudem eine inoffizielle Bedingung, um in der SS Karriere zu machen. Hier wurde er zunächst ehrenamtlich für den Sicherheitsdienst (SD) der SS tätig, 24 der als Nachrichtendienst der Partei fungierte. Damit fand Rohde wie viele andere junge Akademiker aus der Kriegsjugendgeneration, die später zu den „Exekutoren der Endlösung“ wurden, den Weg in den SD. 25 Hierzu gehörte unter anderem auch der Zahn- arzt Ernst Weinmann. 26 Doch Rohde nutzte den SD nicht als Karrieresprung- brett, sondern begann 1938 mit Medi- zin ein zweites Studium. Dafür gab er seine Zahnarztpraxis auf und zog im Januar 1939 erneut nach Marburg. Auch dort engagierte er sich zunächst ehrenamtlich in der SS. Die Ableistung der Wehrpflicht, zu der ihn die SS hätte verpflichten können, wurde wegen seines Studiums zurückgestellt. 27 Ab dem 2. Mai 1941 wurde Rohde dann zum Wehrdienst in der SS ein- gezogen. 28 Seine SS-Laufbahn sollte jedoch nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen, im Gegenteil: In den Jahren 1941 und 1942 wurde Rohde zum Hygienischen Institut der Universität in Marburg abkommandiert, 29 was seinem Studium entgegengekommen sein dürfte. Als Rohde Ende Mai oder Anfang Juni 1942 im Vorzimmer seines Vorgesetzten – dem Professor und Ras- senhygieniker Wilhelm Pfannenstiel (1890–1982) 30 – wartete, soll dort ein Jude (ausgewiesen durch den „Juden- stern“) eingetreten sein, der ebenfalls mit Pfannenstiel sprechen wollte. EINSATZ IN DRESDEN BEI DER SS-TOTENKOPF-DIVISION Rohde soll in der Folgezeit erzählt haben, Pfannenstiel unterhalte Kon- takte zu Juden, was zu einer Ver- nehmung durch den SD führte. Hier schilderte Rohde die Situation jedoch anders: Er habe Pfannenstiel keinesfalls beschuldigen wollen, sondern sich vielmehr erregt, „dass ein Jude nach so langer Zeit nach der Machtübernahme es wagte, sich zu einem höheren SS- Führer zu begeben“ 31 . Eben deshalb sei der Vorfall durch dritte Personen, die wie Rohde als Vertrauensmänner tätig waren, dem SD gemeldet wor- den. 32 Wenngleich der genaue Sach- verhalt nicht mehr geklärt werden kann, so scheint in dieser Begebenheit doch der erhebliche Antisemitismus Rohdes auf. Darüber hinaus wird deut- lich, dass Rohde der SS den Status einer rassischen und radikalen Elite beimaß. Nach Beendigung des Medizinstudiums mit dem Staatsexamen und der nach- folgenden Promotion zum Dr. med. über den „Einfluss mehrerer Narkotika auf die Aktivität der Cholinesterase des Blutes“ 1942 wurde Rohde ab August 1942 33 im SS-Lazarett in Berlin ein- gesetzt, um medizinische Erfahrung zu sammeln. Bereits zwei Wochen spä- ter wurde er jedoch zu einem Ersatz- bataillon der SS-Totenkopf-Division in Dresden versetzt. 34 Ein weiteres Ermittlungsverfahren gibt Aufschluss über Rohdes Gesinnung. Am 23. November 1942 wurde er zu- nächst wegen gefährlicher Körper- verletzung in Untersuchungshaft ge- nommen. Zwei Wochen zuvor, am 9. November des Jahres, war offenbar die Beförderungsfeier eines Kameraden in eine Schlägerei mit einem Straßen- bahnschaffner gemündet. Rohde war nicht aktiv beteiligt, sondern lediglich Zeuge, und gab an, anschließend dem Verletzten seine Hilfe als Arzt an- geboten zu haben. Vor diesem Hinter- grund wurde er vom SS-Feldgericht freigesprochen. 35 Jedoch wurde er im Nachgang vom Reichsführer-SS Heinrich Himmler mit drei Wochen verschärftem Stuben- arrest bestraft. Denn es war bekannt geworden, dass Rohde einem Polizis- ten, der während der Auseinanderset- zung hinzugekommen war und die Personalien der Beteiligten aufnehmen wollte, mit folgenden Worten gedroht haben soll: „Machen Sie sich nicht unglücklich, wir sind von der SS“. 36 Ob Rohdes Versetzung in das KZ Auschwitz im März 1943 mit diesen Ereignissen zu tun hat, kann nicht sicher geklärt werden. Jedenfalls nahm er am 11. März seinen Dienst als Lagerarzt im Frauenlager Auschwitz- Birkenau und im Lager Auschwitz I auf. 37 Dort blieb er bis Juni 1944, bevor er in das KZ Natzweiler-Struthof im Elsass versetzt wurde. 38 Während seiner Tätigkeit in den Kon- zentrationslagern (unterbrochen durch eine Fleckfieberinfektion Anfang 1944) PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 24 BA Berlin, Personalbogen Werner Rohdes o.D. [nach Mai 1937]; 25 Wildt, 2003; Herbert, 1996; Banach, 1998; 26 Uhlendahl/Groß/Schmidt, 2020; 27 BA Berlin, Personalbogen Werner Rohdes o.D. [nach Mai 1937]; BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 08.07.1939; BA Berlin, Abschrift Feldurteil (Dresden) vom 11.12.1942; 28 BA Berlin, SS Stammblatt; BA Berlin, Abschrift Feldurteil (Dresden) vom 11.12.1942; 29 BA Berlin, Vernehmungsprotokoll Rohdes vom 03.07.1943; 30 Zu Pfannenstiele siehe Aumüller et al., 2001; Thiel, 2016; 31 BA Berlin, Vernehmungsprotokoll Rohdes vom 03.07.1943; 32 BA Berlin, Einstellungsverfügung des Verfahrens gegen Rohde wegen Verleumdung aus November 1943; 33 Rohde, 1942; 34 BA Berlin, SS Stammblatt; BA Berlin, Abschrift Feldurteil (Dresden) vom 11.12.1942; 35 BA Berlin, Abschrift Feldurteil (Dresden) vom 11.12.1942; 36 BA Berlin, Abschrift Schreiben des Hauptamtes SS-Gericht an Rohde vom 02.03.1943; 37 BA Berlin, Beurteilung Rohdes vom 06.06.1944; 38 BA Berlin, Beurteilung Rohdes vom 06.06.1944 TÄTER UND VERFOLGTE Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ läuft das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 22/2020 folgen Karl Friedrich Schmidhuber und Ernst Hausmann, in der zm 23-24/2020 gibt es einen Abschlussbericht. Alle bisherigen Beiträge finden Sie via QR auf zm-online.de . GESELLSCHAFT | 79
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=