Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 110, Nr. 20, 16.10.2020, (1974) erlangte Rohde tiefe Einblicke in den KZ-Alltag, die Zwangsarbeit und die Praxis der Judenvernichtung. Als Lagerarzt war er zudem direkt in die Unterversorgung und Selektion der Häftlinge, in Menschenversuche und Morde involviert. Während des Frank- furter Auschwitz-Prozesses (1963–1965) wurde seine Mitverantwortung an der Tötung von etwa 20 polnischen Jungen durch Injektionen gerichtlich festgestellt. 39 Zeugenaussagen zufolge war auch seine Frau gelegentlich im KZ, um sich an den Hinterlassenschaf- ten der Deportierten und Ermordeten zu bereichern. 40 ALS LAGERARZT MACHTE ER HUMANEXPERIMENTE Darüber hinaus soll Rohde im KZ Auschwitz eigene Humanexperimente zur Wirkung von Narkotika durchge- führt haben. Der Sachverhalt konnte während des Frankfurter Auschwitz- Prozesses jedoch nicht vollständig auf- geklärt werden. Rohde soll drei oder vier Häftlinge ausgewählt und in sein Amtszimmer bestellt haben. Ihnen wurde Kaffee verabreicht, der mit Evipan oder Morphium versetzt war. Dabei galt es zu klären, ob man auf diese Weise feindliche Spione be- täuben und gefangen nehmen könne oder ob Personen im Rahmen von Ver- hören schneller die Wahrheit preis- geben beziehungsweise Geständnisse ablegen würden. Ein oder zwei Ver- suchspersonen starben noch in dersel- ben Nacht. Rohde hatte anscheinend nicht nur die ihm vom KZ-Apotheker überreichten Medikamente verab- reicht, sondern sich auf anderen Wegen selbst zusätzliche Mengen ver- schafft. 41 Als der Häftlingschefarzt Rohde vom Tod der Versuchspersonen berichtet hat, soll dieser geantwortet haben: „Da haben sie einen lustigen Tod gehabt.“ 42 Rohdes Versetzung ins KZ Natzweiler- Struthof als Standortarzt sollte schließ- lich die Weichen für sein weiteres Schicksal stellen. Nach seinem Dienst- antritt wurden Anfang Juli 1944vier Agentinnen des britischen nachrich- tendienstlichen Special Operations Executive (SOE) eingeliefert. Diese waren in Frankreich verhaftet und über ein Gefängnis in Karlsruhe nach Natzweiler gebracht worden. Noch in derselben Nacht wurden die vier Frauen von einer Gruppe von SS- Angehörigen – darunter Rohde – durch Injektionen getötet und anschließend im Krematorium verbrannt. 43 Nach Kriegsende wurde Rohde von den Westalliierten festgenommen und interniert. Vom 29. Mai bis zum 1. Juni 1946 stand er zusammen mit acht weiteren Angeklagten vor einem britischen Militärgericht in Wuppertal. Ihnen wurde der Mord an drei eng- lischen Agentinnen und einer unbe- kannten Agentin des SOE am 6. Juli 1944 im KZ Natzweiler-Struthof vor- geworfen. Rohde gab zu, eine der tödlichen Injektionen verabreicht zu haben – allerdings gab er zu seiner Verteidigung an, auf Befehl seines Vor- gesetzten gehandelt zu haben. Alle Beteiligten müssen außerdem gewusst haben, dass die Agentinnen ohne vorhergehendes Gerichtsverfahren hingerichtet wurden, da die Aktion unter strengster Geheimhaltung durchgeführt wurde. 44 EINER VON 15 ZAHNÄRZTEN MIT TODESSTRAFE Bei Rohde erkannte das Gericht eine besondere Schwere der Schuld, da er als Mediziner und designierter Stand- ortarzt eine besondere Funktion inne- hatte und von allen Angeklagten die besten Möglichkeiten gehabt habe, die Aktion zu beenden oder zumindest seine Beteiligung zu verweigern. Rohde wurde als einziger der Angeklagten zum Tode verurteilt; gegen fünf weitere Personen ergingen Haftstrafen. 45 Am 11. Oktober 1946 wurde Rohde im britischen Militärgefängnis in Hameln gehängt. 46 Mit dem Rang eines SS-Obersturm- führers 47 erreichte Rohde unter den SS- Zahnärzten einen vergleichsweise niedrigen Dienstrang, obwohl er mit dem Geburtsjahr 1904 eher zu den älteren Zahnärzten innerhalb der SS zu zählen ist. Sein SS-Übertritt von der SA 1936 erfolgte allerdings relativ spät, die Mehrheit der SS-Zahnärzte hatte bereits 1933 die Mitgliedschaft beantragt. 48 Ob sich auch die hier er- wähnten dienstlichen Verfehlungen beziehungsweise die diesbezüglichen Ermittlungen auf seine SS-Laufbahn auswirkten, ist nicht sicher feststellbar. Möglicherweise liegt der Grund aber auch darin, dass Rohde noch bis 1942 Medizin studierte, was seine Karriere- bildung innerhalb der SS behindert haben dürfte. Mit der Anklage vor Gericht und der folgenden Verurteilung war Rohde schlussendlich einer von insgesamt 48 Zahnärzten, die sich nach Kriegsende nachweislich einem offiziellen Ver- fahren stellen mussten, und einer von 15, bei denen die Todesstrafe verhängt wurde. 49 \ 39 Klee, 2001, 25, 397, 443; Naumann, 2013, 118, 138; Anklageschrift im Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–65), Bl. 15.266f.; Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess, Bl. 660–662, 674f; 40 Setkiewicz, 2014, 23, 28; Langbein, 2005, S.463; 41 Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965), Bl. 890–894; Naumann, 2013, 82, 138f; 42 Anklageschrift im Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–65), Bl. 15238; Naumann, 2013, 139; 43 Webb, 1949, 19–31; Kirstein, 1992, 13; Helm ,2005, 245–261. 44 Webb, 1949, 19–31; Kirstein, 1992, 13; Vordermayer, 2019, 44f.; Charlesworth, 2006; 45 Webb, 1949, 215f. 46 Gross/Renz, 2013, 1230; 47 BA Berlin, SS-Stammblatt; 48 Westemeier/Groß/Schmidt, 2018; 49 Rinnen/Westemeier/Groß, 2020. Rohde mit seiner Ehefrau Katharine Foto: BA Berlin, R 9361 III/165249 80 | GESELLSCHAFT

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=