Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20
zm 110, Nr. 20, 16.10.2020, (1975) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Julius Misch – Nestor der sozialen Zahnheilkunde, Herausgeber der „Fortschritte der Zahnheilkunde“, deportiert Thorsten Halling, Matthis Krischel Julius Misch (1874–1942) gehörte zu den über seine Heimatstadt Berlin hinaus bekannten Zahnärzten seiner Zeit. Er war einer der Gründungsväter der sozialen Zahnheilkunde, engagierte sich in der Fort- und Weiterbildung für Zahnärzte und hinterließ ein umfangreiches und einflussreiches Werk. Nach 1933 wurde ihm die Ausübung von Ämtern und Herausgeberschaften verboten, später verlor er seine wirtschaftliche Existenzgrundlage. Im Oktober 1941 wurden Misch und seine Ehefrau Hertha in das Ghetto Litzmannstadt deportiert, wo Misch im April 1942 starb. Hertha Misch wurde kurz darauf in das Vernichtungslager Kulmhof gebracht und dort ermordet. J ulius Misch wurde am 4. April 1874 in Berlin in eine jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren. Seine Eltern Siegfried und Ottilie Misch führten in der Stadtmitte eine „Handschuh- und Parthiewarenhandlung“. 1 Als der Vater 1885 starb, besuchte Misch noch das Königstädtische Realgymnasium, verließ es zunächst 1890 mit dem Ziel, sich „einem praktischen Berufe zu widmen“, um dann 1894 mit dem Reifezeugnis für die Prima ein Studium der Zahnheil- kunde an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin auf- zunehmen. 2 1897 legte er sein Staatsexamen ab und eröff- nete nach seiner Assistentenzeit um die Jahrhundertwende in Berlin-Schöneberg seine erste Praxis. ER WAR AUCH IM STEUERAUSSCHUSS DES FINANZAMTES BERLIN-SCHÖNEBERG AKTIV 1903 – lange vor der Einführung des Dr. med. dent. im Jahr 1919 – wurde er an der philosophischen Fakultät der Ber- liner Universität mit einer zoologischen Arbeit promoviert. 3 Im gleichen Jahr war Misch an der Gründung des „Standes- vereins Berliner Zahnärzte“ beteiligt, dessen langjähriger Vorsitzender er wurde. Auch im 1907 gegründeten „Berliner Verband zahnärztlicher Vereine“ stand er an der Spitze und war Mitherausgeber der Verbandszeitschrift („Berliner zahnärztliche Halbmonatsschrift“). Er setzte sich für eine „Neugestaltung der zahnärztlichen Ausbildung“ 4 und die „Neuorientierung in der Zahnheilkunde und für deren volkshygienische Aufgaben“ ein, 5 dazu gehörte auch sein Engagement für die Gründung eines „Seminars für soziale Zahnheilkunde“. Misch gehörte – neben Otto Walkhoff – auch zu den Vorkämpfern für die zahnärztliche Promotion an den medizinischen Fakultäten in Deutschland. 6 Misch war darüber hinaus vielseitig interessiert und enga- giert. So meldete er 1903 zwei Patente auf dem Gebiet der Sterilisation und Desinfektion an, 7 gehörte bereits Abb. 1: Titelblatt des zweiten Bandes der dritten Auflage von Mischs Lehrbuch der Grenzgebiete der Medizin und Zahnheilkunde für Studierende, Zahnärzte und Ärzte (1923) 1 Holler, 2009, S. 136–140; 2 Lebenslauf, in: Misch, 1903; 3 Misch, 1903; 4 Misch, aus: Deutsche Zahnärztliche Wochenschrift, Nr. 48, 5. Februar 1930; vgl. auch Misch, 1918, 97–105; 5 Misch, in: Deutsche Zahnärztliche Wochenschrift, Nr. 50 und 51, 1918; 6 Vgl. auch Groß, 2019, S. 57–61; 7 Dr Julius Misch, in: Patentblatt, hg. v. Kaiserl. Patentamt, Band 28, 1904 GESELLSCHAFT | 81
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=