Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 110, Nr. 21, 1.11.2020, (2020) HOCHSCHULEN UND CORONA FÜR EINE FAKTENORIENTIERTE DEBATTENKULTUR Zum Leserbrief „Studenten raus aus dem Elfenbeinturm“ von Dr. Hans-Jürgen Vogel, zm 19/2020, S. 8, zum Beitrag „Medizinischer Fakultätentag zum Zahnmedizinstudium: Eine zweite Welle gefährdet den Abschluss“, zm 17/2020, S. 24. Endlich bietet sich einmal wieder die Gelegenheit, den Hoch- schullehrern richtig die Meinung zu sagen. Toll! Ich möchte nicht darüber spekulieren, was jemanden dazu treibt, einen derartigen Unsinn zu formulieren. Da wird eine durch Corona bedingte, tatsächlich sehr schwierige Situation an den Hochschulen genutzt, den Vergleich vom faulen, sich vor der Virusgefahr wegduckenden Hochschullehrer zum furchtlosen Frontkämpfer in den Praxen aufzumachen. Hätte Herr Dr. Vogel sich die Mühe gemacht, sich mit den Tatsachen zu beschäftigen, so wüsste er, dass nicht die Hochschullehrer der Zahnmedizin entschieden haben, dass der Unterricht im Sommersemester zunächst nicht am Patienten statt- fand. Es waren die Ministerien und die Hochschulleitung, die zunächst grundsätzlich einen Präsenzunterricht untersagt haben. Mit dieser Maßnahme sollten Studierende, Behandler und Patien- ten geschützt werden. Letztlich ist es gerade den Medizinischen Fakultäten an vielen Standorten gelungen, dann wenigstens partiell einen Präsenzunterricht durchzusetzen. Was in der Zahn- medizin zunächst mit Arbeiten am Phantomkopf und später an vielen Standorten auch am Patienten ermöglicht wurde. Dabei mussten jeder einzelne Kurs, jedes Seminar beziehungsweise jede Klausur einzeln von übergeordneter Stelle, zum Teil vom Rektorat der Universität, genehmigt werden. Parallel dazu muss- ten sämtliche theoretischen Unterrichtsmaterialien digitalisiert werden, Vorlesungen und Seminare wurden aufgezeichnet und online gestellt usw. Ich kann selbstverständlich nur für Freiburg sprechen; Gespräche mit anderen Kolleginnen und Kollegen zeigten jedoch, dass es an den meisten Standorten ähnlich war. Ganz nebenbei bemerkt: Es wurden an einigen Standorten gleich zu Beginn der Pandemie COVID-Ambulanzen eingerichtet, die gerade für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die in der Nähe von Universitätskliniken ihre Praxis haben, eine Hilfe waren. Hochschullehrer sind für Forschung, Lehre und Krankenversorgung zuständig und befinden sich im offenen Wettbewerb mit allen medizinischen Disziplinen. Sie müssen wirtschaftlich arbeiten, Drittmittel akquirieren und kontinuierlich publizieren. Gleichzeitig bieten sie ihren Studierenden eine moderne und kompetente, patientenorientierte Lehre an. Kein Hochschullehrer freut sich darüber, dass aufgrund der Pandemie gerade die Patienten- behandlung zunächst untersagt und dann nur begrenzt möglich gemacht wurde. Trotz alledem kann man natürlich einfacher an Vorurteile appellieren, als sich mit Fakten zu beschäftigen – es ist traurig zu sehen, dass die mit wenig Fachwissen geführte und dafür ideologisch mit billigen Simplifizierungen aufgeladene Debattenkultur aus so manchen Bereichen der Gesellschaft sich nun auch in die Zahnmedizin vorarbeitet. Sicher ist es verständlich, wenn im Wirrwarr der Corona-Krise mit ihren vielfältigen Gefahren so- wohl für die Gesundheit als auch für den hierzulande erarbeiteten Wohlstand auch mal die Nerven blank liegen dürfen. Aber wir sollten eine respektvolle Diskussionskultur pflegen – das kostet kein Geld und wird mit Sicherheit die besseren Lösungen für die Zahnmedizin und auch die Gesellschaft zeitigen. Ein Wort noch zum Fazit des Kollegen, in dem er damit liebäugelt, doch gleich mal die ganze Ausbildung in die niedergelassene Praxis zu verlagern, damit an der Hochschule keine Zeit mehr „verplempert“ wird: Ist das ernst gemeint? Will der Kollege tat- sächlich ein wissenschaftlich fundiertes Studium an einer wissen- schaftlichen Hochschule zugunsten einer handwerklichen Ausbil- dung in einer Praxis (einschließlich Gewerbeschule) aufgeben? Prof. Dr. Elmar Hellwig Departmentsprecher ZMK-Klinik des Universitätsklinikums Freiburg, Prodekan für Strategie und Entwicklung der Med. Fakultät der Universität Freiburg HOCHSCHULEN UND CORONA WELCHER ELFENBEINTURM? Zum Leserbrief „Studenten raus aus dem Elfenbeinturm“ von Dr. Hans-Jürgen Vogel, zm 19/2020, S. 8, zum Beitrag „Medizinischer Fakultätentag zum Zahnmedizinstudium: Eine zweite Welle gefährdet den Abschluss“, zm 17/2020, S. 24. In den zm 19 wurde ein Leserbrief von Dr. Hans-Jürgen Vogel aus Neu-Isenburg unter dem Titel „Studenten raus aus dem Elfen- beinturm“ veröffentlicht. Herr Vogel kommentiert einen Beitrag zur Haltung des Medizinischen Fakultätentages (MFT) zur zahn- medizinischen Ausbildung in Zeiten der Sars-CoV-2-Pandemie und kritisiert das Verhalten der Hochschulen, die sich seiner Diktion zufolge „alle schnell in ihr Schneckenhaus verzogen und Corona gespielt“ hätten. Er kommt zu dieser Bewertung, weil in der Zahn- medizin „die klinische Ausbildung, einschließlich Teile des Staats- examens, jetzt am Phantomkopf durchgeführt“ worden seien. Zweifellos ist es beklagenswert, dass im Sommersemester 2020 die klinischen Kurse und Teile der Zahnärztlichen Prüfung zu einem nennenswerten Teil statt mit Patienten in Simulation an Phantomeinheiten durchgeführt wurden – dem werden die Hoch- schullehrer der Zahnmedizin deutschlandweit sicher beipflichten. Die konkrete klinisch-praktische Ausbildung der Studierenden in der Zahnmedizin vom 7. bis zum 10. Fachsemester ist ein wesentliches und unverzichtbares Element der Ausbildung der 10 | LESERFORUM

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