Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 110, Nr. 21, 1.11.2020, (2026) wie die vorhergehenden Beratungen in Videokonferenzen statt. Dabei bestanden zunächst bei einzelnen Empfehlungen durchaus unterschiedliche Auffassungen. In diesen Fällen wurden die Empfehlungen in verschiedenen Formulierun- gen unter Leitung der erfahrenen Leitlinienbeauftragten der DGZMK zur Abstimmung gebracht und teilweise auch noch umformuliert. Im Ergebnis wurden alle Empfehlungen ohne Gegenstimme als „starker Konsens“ verabschiedet. Neuerdings werden verschiedene Geräte zur Luft- reinigung vom Handel angeboten, die es sogar bis auf den Titel der BILD-Zeitung geschafft haben. Raten Sie zur Anschaffung solcher Geräte für die Praxis? Voss : Eine solche Empfehlung ist sicherlich jetzt noch nicht sinnvoll, denn die wissenschaftliche Untersuchung dieser Geräte steht erst am Anfang. Die Aussagen der Fach- leute aus den meist technischen Fakultäten widersprechen sich deutlich. Die ersten Untersuchungen haben neben Erfolgen auch mannigfaltige Schwierigkeiten an den Tag gebracht. Das geht von der nicht zuverlässigen Saugwirkung bei verschiedenen Grundrissen von Räumen über fehlende HEPA-Filter der entsprechenden Stufe bis hin zur Pro- duktion von zu viel gesundheitsschädlichem Ozon beim Einsatz von UV-C-Strahlen in einigen Geräten. Zur Wirk- samkeit hinsichtlich der Prävention von SARS-COV-2 gibt es bislang keine spezifischen Studien. Es ist aus meiner Sicht noch nicht angebracht hier von einem Durchbruch zu sprechen, der den Praxen wissenschaftlich belegten Nutzen bringt. Und wie sieht es mit dem Lüften aus? Voss : Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich regelmäßiges Stoß- beziehungsweise Querlüften für die Methode der Wahl in Zahnarztpraxen. Das ist auch in der kalten Jahres- zeit zumutbar und sogar wirksamer als im Sommer, wo es zwischen innen und außen nur einen geringen Temperatur- gradienten gibt. Die gerade angestoßene Erweiterung der bislang geläufigen AHA-Regel zu AHA+L ist daher sinnvoll, um die Bedeutung des Lüftens zu betonen. Wichtig ist aber, darauf hinzuweisen, dass sowohl das Lüften als auch Luftfilter oder -reiniger nur das indirekte Infektions- risiko betreffen. Das direkte Risiko, das durch Anhusten oder anderen Kontakt über kurze Distanz erfolgen kann, wird dadurch nicht reduziert. Vor wenigen Wochen, als das Schlimmste für die Praxen schon überstanden schien, tauchte plötzlich eine Empfehlung der WHO auf, die vor dem Besuch von Zahnarztpraxen weltweit warnte. Hat Sie das geärgert? von Laffert : Ja, allerdings. Entstanden ist diese Meldung durch eine Kette von Übersetzungsfehlern und Miss- verständnissen. Eine solche Empfehlung für alle Länder weltweit abzugeben macht keinen Sinn. Die Verhältnisse in Brasilien, in den USA und bei uns sind ja schon auf den ersten Blick kaum vergleichbar. Die WHO hat dann ja auch bestätigt, dass Deutschland mit dieser Empfehlung nicht gemeint war. Der Schaden war dennoch da. Gibt es Themen im Bereich Hygiene, die aktuell noch umstritten sind? Voss : Ein Punkt, der intensiv in der Kollegenschaft disku- tiert wird, ist die Verwendung von Spülflüssigkeiten vor der Behandlung. Während zunächst die Empfehlung meist unser üblicher Goldstandard Chlorhexidin war, kam aus Wuhan die Empfehlung, dass 1%-iges H 2 O 2 wohl effektiver sei. Neuere Untersuchungen empfehlen wiederum Octeni- din, Chlorhexidin, Dequonal oder Listerine Cool Mint. Hierzu gibt es in der Leitlinie eine interessante Tabelle. Ich weiß aber, dass es weitere Forschung, einschließlich mehrerer Cochrane-Reviews zu diesem Thema gibt und womöglich veränderte Empfehlungen in nächster Zeit herauskommen werden. Die Autoren der Leitlinie sind an diesem Thema dran. Es wird gerade überlegt, ob zunächst ein „Amendment“ publiziert wird oder die Leitlinie als „Living Guideline“ umgemeldet werden kann, die laufende Ergänzungen möglich macht. Was sind Ihre größten Sorgen für die nächsten sechs Monate? Voss : Ein wirklich großes Problem scheint bei der Schutz- ausrüstung auf uns zuzukommen. Das betrifft offenbar pri- mär den Bereich Schutzhandschuhe. Hier fehlen sowohl Rohstoffe als auch Maschinen, um Handschuhe in Deutschland herstellen zu können. Wenn die Politik und die Industrie hier nicht schnell handeln, könnte das für uns wirklich ein großes Thema werden. Denn ohne Handschuhe können wir die Arbeit einstellen. von Laffert : Erschreckend war ja schon in der Krise, wie uns die Systemrelevanz systematisch abgesprochen wurde. Das zeigte sich ja nicht nur beim Thema Schutzausrüstung, wo wir in einer Tabelle eines Landkreises zwischen den Friseuren und den Bestattern verortet wurden, weit weg von den Krankenhäusern und Ärzten. Das hat uns schon sehr betroffen gemacht und zeigte sich dann auch noch beim Rettungsschirm und beim Kurzarbeitergeld, das man uns ja auch noch streitig machen wollte. Das hat ja die Intervention der Kammern und der BZÄK zum Glück verhindert. Wir hoffen, dass die Politik da künftig eine andere Sicht bekommt. Wir bedanken uns für das Gespräch. Die Fragen stellte Sascha Rudat. 16 | PRAXIS
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