Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 110, Nr. 21, 1.11.2020, (2040) Frau von Gadow, Sie sind Zahn- ärztin, arbeiten im Schweriner Gesundheitsamt und betreuen aktuell die Quarantäneüber- wachung der Stadt. Wie sieht Ihr Arbeitstag aus? Jasmin von Gadow: Wir haben im Augenblick zum Glück keine hohen Infektionszahlen, dennoch helfen alle Mitarbeiter in unserem Gesundheits- amt bei der Pandemiebewältigung mit. Ich halte den Kontakt zu rund 30 Schwerinern, die sich derzeit in Quarantäne befinden. Bis vor Kurzem haben wir sie täglich angerufen, neuerdings haben wir ein Software- Programm und kommunizieren mit vielen auch via täglicher Online-Befra- gung. Viele Menschen, die in Qua- rantäne sind, arbeiten online von zu Hause aus. Für sie ist die Beantwortung der Fragen eine schnelle Angelegen- heit. Wenn sie uns online Fragen oder Veränderungen melden, rufen wir an. Was machen Menschen, die nicht online antworten möchten oder können? Die rufen wir selbstverständlich per- sönlich an. Was bewegt Menschen, die in Quarantäne sind? Bei einigen, die länger zu Hause sind, taucht die Frage auf, wer für sie einkau- fen geht. Wir müssen als Gesundheits- amt sicherstellen, dass sie mit allem versorgt werden, was notwendig ist. Bis jetzt haben alle, die ich betreut habe, jemanden im Freundes- oder Bekanntenkreis gefunden, der ihnen geholfen hat. Was haben Sie in den Wochen, in denen Sie Quarantäne-Patienten betreuen, gelernt? Vor allem, dass Menschen sehr unter- schiedlich sind. Die meisten sind ver- ständnisvoll und können nachvoll- ziehen, warum sie sich in Quarantäne begeben müssen. Aber es gibt auch einige wenige, die viele Maßnahmen nicht einsehen und dies diskutieren möchten. Es gibt Menschen, die die zwei Wochen eher als Erholungspause ansehen – wer ein Haus und einen Garten hat, empfindet eine Quaran- täne vielleicht als nicht so schlimm. Wir betreuen aber auch Patienten, die in einer kleinen Wohnung leben und dann das Gefühl haben, eingesperrt zu sein. Manche leiden psychisch sehr darunter. Wie können Sie diesen Menschen helfen? Wir rufen täglich an, manchmal sogar zweimal, und versuchen, sie seelisch aufzubauen. Wenn man zum Beispiel gemeinsam ausrechnet, wie viele Tage schon geschafft sind, kann das sehr helfen. Unsere Philosophie lautet: Wer einen Anruf braucht, bekommt ihn auch. Bedanken sich die Menschen für Ihre Arbeit? Ja, durchaus. Wir hatten sogar Patien- ten, die dem Gesundheitsamt aus Dankbarkeit Geld spenden wollten. Das haben wir natürlich abgelehnt. Verstehen Sie Menschen, die in großen Gruppen feiern? Nein, das kann ich nicht nachvoll- ziehen. Zumal meine Familie von Corona betroffen war: Mein Vater lag zu Beginn der Pandemie wochenlang im Krankenhaus und wurde auf einer Intensivstation künstlich beatmet. Die Bilder aus dem Klinikum habe ich immer noch im Kopf. Ich kann unsere Quarantäne-Patienten gut verstehen, weil ich weiß, wie schwer die Umstände sein können, die Corona mit sich bringt. Viele unserer Patienten versuchen auch mit schwereren Symptomen, zu Hause durchzuhalten, weil sie Angst vor dem Krankenhaus haben. Sie liegen dann mit Fieber und Husten zu Hause, essen manchmal tagelang nichts. Ich leide mit ihnen, weil ich genau weiß, was sie durchmachen. Wie gehen Sie dann vor? Für die Entscheidung, ob jemand ins Krankenhaus muss, sind wir als Gesundheitsamt nicht zuständig – das muss der Hausarzt übernehmen. Welchen Teil ihrer Arbeit als Zahnärztin im Gesundheitsamt vermissen Sie am meisten? Ganz klar: Das Untersuchen der Kinder in Schulen und Kitas. Wir machen uns Sorgen um Kinder in den Risiko- einrichtungen. In 42 von 43 Kitas in Schwerin haben bis vor Ausbruch der Pandemie alle Kinder ab zwei Jahren täglich ihre Zähne geputzt. Fast alle Kitas haben mittlerweile damit auf- gehört. Wir haben viele Kinder, bei de- nen das Zähneputzen zu Hause keinen großen Stellenwert hat. Bei denen ist das Kita-Zähneputzen oft das einzige Zähneputzen am Tag. Wir müssen be- fürchten, dass sie derzeit überhaupt keine Zahnpflege betreiben. Da hätten wir gern mehr Zeit, die Mitarbeiter zu schulen, ihnen zu zeigen, dass das Zähneputzen auch in Pandemiezeiten sicher durchgeführt werden kann. Wie hat sich Ihr Tagesablauf verändert? Vormittags haben wir vor der Pande- mie Schulen und Kitas besucht und am Tag 50 bis 100 Kinder untersucht. Nachmittags war dann Zeit für Büro- arbeit. Zurzeit ist der Tagesablauf schlecht planbar. Montags werden die Aufgaben im Gesundheitsamt auf die verschiedenen Teams verteilt. Wir rufen erst ab zehn Uhr bei Menschen in Quarantäne an. Vorher habe ich noch Zeit, mich um zahnärztliche Auf- gaben wie Gutachten zu kümmern, und ich sehe die online ausgefüllten Kontakt-Tagebücher durch. Außerdem fallen organisatorische Aufgaben an. Ab zehn Uhr telefoniere ich mit den Menschen in Quarantäne, die das Kontakt-Tagebuch nicht ausfüllen können oder wollen, mit denen die Symptome oder Fragen angegeben ha- ben, mache Termine für Abstriche aus und gebe die negativen Testergebnisse durch. Positiv Getestete werden von der Hygiene benachrichtigt, die dann auch die Kontaktnachverfolgung macht. Viele Fragen kann ich nicht sofort beantworten, da muss ich dann bei der Hygiene nachfragen und zurückrufen. Wenn noch Zeit ist, helfe ich der Hygiene dabei, neue Kontaktpersonen in unsere Tagebuch- Anwendung aufzunehmen. \ Die Fragen stellte Silvia Meixner. Die Schweriner Zahnärztin Jasmin von Gadow an ihrem Arbeitsplatz Foto: Nicole Roch

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