Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 110, Nr. 21, 1.11.2020, (2048) ausführen konnte. Ich redete ihm aber zu, den Ruf anzunehmen. In München konnte er doch besser ‚Schule machen‘.“ 1872 hatte Röntgen die Züricher Wirts- tochter Anna Bertha Ludwig geehelicht, mit der er bis zu deren Tod im Jahre 1919 verheiratet war. Die Röntgens blieb kinderlos, nahmen jedoch 1887 eine damals sechsjährige Nichte von Anna Bertha bei sich auf, die das Paar schließlich im Alter von 21 Jahren adoptierte. Röntgen erhielt bereits zu Lebzeiten zahllose Orden, Ehrenmitgliedschaften, wissenschaftliche Preise, Ehrendoktor- würden – unter anderem 1896 von der Medizinischen Fakultät in Würzburg – und andere Auszeichnungen, von denen eine natürlich besonders herausragt: der oben bereits erwähnte erste Nobel- preis für Physik im Jahre 1901. Wilhelm Conrad Röntgen wurde 1920 emeritiert und starb am 10. Februar 1923 in München an Darmkrebs. Unmittelbar nach seiner unglaublichen Entdeckung, noch im Dezember 1895, berichtete Röntgen in den „Sitzungs- berichten der Würzburger Physikalisch- medicinischen Gesellschaft“ erstmals „Ueber eine neue Art von Strahlen“. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sicher- lich noch nicht voll und ganz deren Bedeutung abschätzen. Mit den von ihm sogenannten „Schattenbildern“ war es nun möglich, Organe, Struktu- ren und Knochen ohne chirurgische Maßnahmen gleichsam von „außen“ zu beurteilen. AUCH DIE ZAHNMEDIZIN NUTZTE DIE STRAHLEN Ziemlich schnell setzte sich in den medizinischen Fachgebieten die Erkenntnis über den diagnostischen Wert der X-Strahlen durch – trotz der langen Expositionszeiten von zum Teil über 20 Minuten. Die augenscheinlich ersten Zahnaufnahmen fertigten der Zahnarzt Otto Walkhoff und der Phy- siker Walter König bereits im Februar 1896 an. Zunächst nutzten Zahnärzte her- kömmliche, für humanmedizinische Zwecke konzipierte und etwas mehr als 50 cm lange Röhren, mit denen schnell eine Reduzierung der Belich- tungszeit auf weniger als 30 Sekunden erreicht werden konnte. Die erste für zahnärztliche Bedürfnisse entwickelte Röntgenröhre erschien 1923 auf dem Markt. Es handelte sich um die Weiter- entwicklung der verbreiteten Coolidge- Röhre, die aus Strahlenschutzgründen von Bleiglas oder Metallhülsen um- geben war. Durch den technischen Fortschritt im Laufe der Jahre gelangen sowohl eine Verkleinerung der Röhren als auch ein nochmaliges Absenken der Expositions- zeit, die Mitte der 1930er-Jahre zwischen 0,5 und 2,5 Sekunden lag. Ab diesem Zeitpunkt setzte sich die „Einkesselbau- weise“ als ein weltweit anerkanntes Konstruktionsprinzip für zahnärztliche Röntgengeräte durch: Hier befanden sich Röhre und Transformator in einem ölgefüllten, schwenkbaren Gehäuse. In den 1950er-Jahren gelang eine noch- malige Reduzierung des Fokus-Film- Abstands, wodurch sich die Zahn- filmgeräte noch einmal deutlich verkleinerten. Die auch als Klein- röntgengeräte bezeichneten Apparate konnten unmittelbar an den Behand- lungseinheiten befestigt werden, was eine Zeitersparnis im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung bedeutete. Gleichzeitig war es nun möglich, die Röhrenspannungen zu verringern und in den Geräten definierte Werte für Spannung und Stromstärke bei der Anwendung festzulegen. Diese Auto- matisierung erhöhte sowohl die Sicher- heit der Patienten als auch die des zahnmedizinischen Personals. Als die Firma Eastman Kodak 1973 ein Patent für digitales Röntgen anmeldete, begann ein neues Kapitel. Mittlerweile löst die digitale Dentalradiologie die auf analogen Röntgenfilmen basieren- den konventionellen Verfahren immer mehr ab. Durch den zusätzlichen Ein- satz von Speicherfolien gelingt es, die notwendige Strahlenbelastung noch- mals erheblich zu verringern. REVOLUTION BEI DEN AUFNAHMETECHNIKEN Ebenso vielfältig wie die Fortschritte im technisch-apparativen Bereich wa- ren die Entwicklungen auf dem Gebiet der Aufnahmeverfahren. Die Beurteilung der Zähne und des Kiefers erfolgte zunächst mithilfe von intraoralen Aufnahmen und – zur Ruhig- stellung des Kopfes – beim liegenden Patienten. Eine Fixierung der Filme übernahmen dabei hauptsächlich der Zahnarzt oder seine Assistenzen – zum Teil umfangreiche Strahlenschäden bei diesem Personal waren die Folge. Mit der Einführung von Aufbissfilmhaltern ab 1907 nahmen derartige Schädigun- gen ab, gleichzeitig setzten sich immer mehr standardisierte Aufnahmeverfahren wie die Parallel- und die Rechtwinkel- technik durch, letztere vor allem seit der Entwicklung eines abgewinkelten Filmhalters Mitte der 1950er-Jahre. In der Traumatologie notwendige Spezialaufnahmen, etwa des Jochbo- gens und -beins, kamen seit 1928 zur Anwendung, während die erste Nasen- nebenhöhlenaufnahme schon 1896 durchgeführt wurde. Für die Anfertigung von Fernröntgenseitbildern, heute un- verzichtbares diagnostisches Mittel in der Kieferorthopädie, kamen Anfang der 1930er-Jahre zwei Meter lange mit Blei ummantelte Holztuben zum Einsatz. Das Prinzip der Panoramaschichtauf- nahmen wurde bereits 1922 patentiert, allerdings sollten fast 40 Jahre ver- gehen, bis sich mit dem ersten Serien- gerät die Panoramatechnik immer mehr durchsetzte. Die Ausübung der modernen Zahn- medizin ist sowohl in der Diagnostik als auch in der Qualitätssicherung ohne die zahnärztliche Radiologie nicht mehr denkbar – Röntgen sei Dank! \ Foto: gemeinfrei Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923) 38 | GESELLSCHAFT
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