Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2162) IN-SITU-STUDIE ZUR DOSIS-WIRKUNGS-BEZIEHUNG VON ZAHNPASTEN Fluoridfrei wirkt nicht Richard Johannes Wierichs, Julia Musiol, Hendrik Meyer-Lückel Gibt es für fluoridhaltige Zahnpasten eine Dosis-Wirkungs-Beziehung hinsichtlich ihrer karieshemmenden Wirkung auch auf Dentin? Wie verhält sich eine fluoridfreie, Nanohydroxylapatit-haltige Zahnpasta im Vergleich zu Zahnpasten mit unterschiedlichem Fluoridgehalt? Diesen beiden Fragen wurde in einer In-situ-Studie unter klinisch ähnlichen Bedingungen nachgegangen. P ositive Dosis-Wirkungs-Beziehun- gen zwischen Fluoridkonzentra- tionen in Zahnpasten und einer Kariesreduktion im Schmelz wurden in zahlreichen Studien festgestellt [Walsh et al., 2010]. Allerdings wurden nur wenige klinische Studien mit Wurzel- dentin durchgeführt [Wierichs und Meyer-Lückel, 2015]. Diese belegten zwar, dass die tägliche Verwendung einer hochfluoridhaltigen Zahnpasta (5.000 ppm F - ) im Vergleich zu einer normalfluoridhaltigen Zahnpasta (1.100–1.450 ppm F - ) das relative Risiko für eine invasive Therapie von Wurzelkaries um circa 50 Prozent senkt, sie untersuchten aber nicht, ob eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Fluoridkonzentrationen und der Kariesreduktion im Dentin in vivo oder in situ vorliegt. Die kariespräventive Wirkung von fluo- ridfreier, Nanohydroxylapatit-haltiger Zahnpasta wurde in den vergangenen Jahren viel diskutiert. Einige Studien deuteten auf einen remineralisieren- den Effekt für Zahnpasten mit Nano- hydroxylapatit (nHA) oder mikro- kristallinem Hydroxylapatit (mHA) hin [Najibfard et al., 2011; Schlagenhauf et al., 2019; Tschoppe et al., 2011]. In vitro verursachte eine nHA-haltige Zahnpasta eine Mineralzunahme im Schmelz, die sich aber nicht signifikant von einer aminfluoridhaltigen Zahn- pasta (1.450 ppm F - ) unterschied [Tschoppe et al., 2011]. Darüber hinaus wurde auch kein signifikanter Unter- schied in der Mineralzunahme zwischen einer nHA- und einer NaF-haltigen Zahnpasta (1.100 ppm F - ) in situ beob- achtet [Najibfard et al., 2011]. Jedoch wurden beide Studien – In-vitro- und In-situ-Studie – unter netto-reminerali- sierenden Bedingungen durchgeführt, wobei selbst die Kontrollgruppen remi- neralisierten. Für die Beurteilung der kariesprophylaktischen Wirkung einer Zahnpasta ist allerdings eine Evaluation unter demineralisierenden Bedingun- gen notwendig. Eine positive Wirksamkeit von mikro- kristallinem Hydroxylapatit wurde eben- falls auf Grundlage einer klinischen Studie postuliert [Schlagenhauf et al., 2019]. Hier war nach einer Beobach- tungszeit von sechs Monaten eine fluoridfreie mHA-Zahnpasta einer NaF-haltigen bei der Reduzierung der Entstehung neuer initialer Läsionen (ICDAS-Code 1 oder 2) im Randbereich von kieferorthopädischen Brackets nicht unterlegen. Die Zahnpasten wurden in einer Population mit sehr hohem Kariesrisiko getestet, so dass hier das Modell möglicherweise zu kariogen war, um überhaupt Unter- schiede zwischen den Interventionen aufzeigen zu können. Da weder eine Negativkontrolle – aus ethischen Gründen – noch eine Positivkontrolle (zum Beispiel hochfluoridhaltige Zahn- pasta) in die Studie integriert wurden, kann dies nicht abschließend geklärt werden. Darüber hinaus wurden weitere kariesprophylaktische Maßnahmen be- gleitend durchgeführt, so dass der auf die Zahnpasten zurückzuführende Effekt maskiert worden sein könnte. Abgesehen von der gewählten Metho- dik gilt ein Untersuchungszeitraum von sechs Monaten als zu kurz, um eine verallgemeinerbare Aussage über die Wirksamkeit von Zahnpasten abzu- leiten [Kerschner et al., 2020; Marinho et al., 2003; Walsh et al., 2019]. Im Unterschied dazu wurde unter eben- falls netto-remineralisierenden Bedin- Fotos: Wierichs, Musiol, Meyer-Lückel Abb. 1: Design der intraoralen Apparatur: Auf beiden Seiten wurden 1 mm vertieft in das Kunststofffenster unter einem Kunststoffnetz je eine bovine Schmelzprobe und zwei bovine Dentinproben eingebracht, so dass plaque- bedeckte Zahnflächen simuliert wurden. 28 | ZAHNMEDIZIN

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