Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2174) KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER ZAHNMEDIZIN Wie kann KI uns nützen? Falk Schwendicke, Robert Gaudin, Joachim Krois Was lange Zeit nach Science-Fiction klang, ist mittlerweile Thema in Politik, Wirtschaft und Presse: Künstliche Intelligenz (KI) ist Realität geworden. Was aber genau ist KI? Wie funktionieren KI-Anwendungen? Was muss der Anwender, ob als Nutzer in seinem Smartphone oder als Arzt in seiner Praxis, beachten? Der Beitrag erläutert die technologischen Hintergründe, skizziert Anwendungsbeispiele aus Medizin und Zahnmedizin und zeigt die Funktionalitäten von heutigen KI-Anwendungen an einem konkreten Beispiel. D er Begriff KI wurde Mitte der 1950er-Jahre geprägt, jedoch veränderte sich die Definition über die Zeit. Im American National Standard Dictionary of Information Technology [ANSDIT, 1996] wird KI definiert als die „Fähigkeit eines Geräts, Funktionen auszuführen, die normalerweise mit menschlicher Intel- ligenz verbunden sind, wie Denken, Lernen und Selbstverbesserung“. Die beeindruckenden KI-Anwendungen von heute wurden durch eine Reihe technologischer Weiterentwicklungen ermöglicht (Abbildung 1): \ Die Evolution von Hardware: Die Weiterentwicklung von Computer- chips und vor allem Grafikkarten hat rechenintensive Anwendungen wie das Maschinelle Sehen (siehe unten) ermöglicht. Die Idee, Maschinen „sehen zu lassen“ und hierdurch Bilder analysieren zu können, ist bereits mehr als 50 Jahre alt. Allerdings standen jahrzehntelang nicht ausreichend Rechenkapazitäten zur Verfügung, um die aufwendigen Algorithmen, die ein solches Sehen ermöglichen, einzusetzen. \ Die „Demokratisierung“ von Soft- ware: Heute stehen nicht nur großen universitären Forschungs- zentren oder Industriegiganten Algorithmen und Prozeduren zur Verfügung, um KI-Applikationen zu entwickeln. Ganz im Gegenteil; Software für die Entwicklung von KI-Algorithmen wird inzwischen frei erhältlich im Internet zur Ver- fügung gestellt. Der einfache Zu- griff auf diese Technologie ermög- licht auch kleineren Unternehmen und Start-ups die Entwicklung von KI-Software und trägt damit mit zur rasanten Verbreitung solcher Applikationen bei. \ Die vorhandenen Datenmengen sind explodiert. Die digitale Durchdringung aller Arbeits- und Lebensbereiche führt zu einer nie dagewesenen Verfügbarkeit riesiger Datenmengen. In 2020 stehen geschätzt etwa fünf- bis zehnmal so viele Daten zur Verfügung wie noch 2015. Daten gelten als „das neue Öl“; mit Daten verdienen Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon ihr Geld. Gleich- zeitig sind sie aber auch der Motor für KI-Weiterentwicklungen in Medizin und Zahnmedizin [Mertz, 2018]. Die bessere Nutzung von Daten wird auch für die Zahn- medizin ein zentrales Thema in den nächsten 30 Jahren sein [Schwendicke et al., 2019]. \ In der Medizin werden diese drei Entwicklungen ergänzt durch Fortschritte in der sogenannten Systemmedizin: Die „Omics“- Forschung, also beispielsweise Microbiomics (die Analyse des menschlichen Mikrobioms, unter anderem in der Mundhöhle), Genomics (die Analyse des menschlichen Genoms) oder auch Proteomics (die Analyse von an be- stimmten Stoffwechselvorgängen oder Krankheiten beteiligten Proteinen) ermöglichen ein nie ge- kanntes Maß an Detailverständnis zu physiologischen und pathologi- schen Vorgängen im menschlichen Körper [Grapov et al., 2018]. Auch hier fallen die Möglichkeiten, ent- sprechende Analysen durchführen zu können (Hardwareentwicklung) mit der Möglichkeit zusammen, die generierten riesigen Datenmen- gen zu analysieren (Software- entwicklung). In der Zahnmedizin sind diese Omics-Technologien bisher weniger relevant, allerdings werden sinkende Preise im Bereich von Omics-Hardware eine Verbrei- tung dieser Methoden in der Zahn- medizin mittelfristig vorantreiben. Diese skizzierten Trends haben das Feld der KI in der vergangenen Dekade enorm beschleunigt und zahlreiche Anwendungsbereiche eröffnet. Hierzu gehören das bereits benannte Maschi- nelle Sehen (a), die Sprachverarbeitung (b), die Robotik (c) und Virtual Reality oder Simulationssysteme (d). Für diese Felder finden sich auch in der medizi- nischen Arena zahlreiche Anwendungs- felder [Yu et al., 2018]: a) Die Analyse von medizinischen Bildern mittels Maschinellem Sehen (histologische Bilder, PROF. DR. FALK SCHWENDICKE, MDPH Leiter der Abteilung für Zahnärztliche Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung Centrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin Foto: privat 40 | ZAHNMEDIZIN

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