Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2178) weise CT- oder DVT-Bildern, kann KI hilfreich sein. So sind heute bereits zahlreiche KI-Modelle im Einsatz, die in Bauch- oder Thorax-CTs Organe seg- mentieren und den Arzt hierdurch ent- lasten. In allen beschriebenen Fällen ist es so, dass KI den Arzt unterstützt und nicht ersetzt [Syed und Zoga, 2018]. Die finale Diagnose und Ent- scheidung liegen allein beim Arzt. Auch in der Zahnmedizin wird zuneh- mend an KI-Anwendungen geforscht. Vor allem im Bereich des Maschinellen Sehens findet zurzeit eine Wissens- explosion statt (Abbildung 3). Die Zahl der Publikationen zu KI im Bereich Zahnmedizin stieg vor allem in den vergangenen fünf Jahren sehr stark an. Ein zentrales Anwendungsfeld ist hier- bei die Röntgenbildanalyse. So arbeiten weltweit mehrere Gruppen daran, KI- Modelle zu entwickeln, die Zahnärzte bei der Befundung von Panorama- schichtaufnahmen, Einzelbildern, Biss- flügelaufnahmen oder Fernröntgen- seitenaufnahmen unterstützen [Endres et al., 2020; Schwendicke et al., 2020; Cantu et al., 2020; Leite et al., 2020; Hiraiwa et al., 2019]. Diese Unterstüt- zung umfasst sowohl die Detektion und Klassifikation von Pathologien (apikale Läsionen, parodontaler Knochenabbau, Karies, aber auch Osteoporose oder Frakturen) als auch die Detektion und Klassifikation von physiologischen Strukturen oder zahnärztlich verarbeiteten Materialien wie zum Beispiel Füllungen, Kronen, Implantate [Schwendicke et al., 2020]. Beim Einsatz von KI stehen drei Vorteile im Vordergrund: 1. Die Detektion von anatomischen Strukturen, Füllungen, Kronen oder Implantaten entlastet den Zahnarzt. Durch eine Zuordnung der Detektionen zu bestimmten Zähnen kann ein „Vorbefund“ erzeugt werden, der umfänglich und systematisch ist und vom Zahnarzt nur noch einmal kon- trolliert werden muss. Hierbei wird Zeit gespart und die Doku- mentationsqualität erhöht. 2. Zur Pathologiedetektion sollten die entwickelten Modelle mindes- tens genauso gut wie ausgebildete Zahnärzte sein; nicht selten jedoch übertreffen KI-Modelle auch zahnärztliche Experten. In einer kürzlich publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass KI- Modelle frühe Karies auf Bissflügel- röntgenbildern teilweise deutlich besser erkennen als Zahnärzte [Cantu et al., 2020]. Interessanter- weise war der Unterschied zwischen KI und Zahnärzten bei der Detek- tion vorangeschrittener kariöser Läsionen nur minimal, während die KI beim Erkennen der Karies- Frühstadien deutlich besser abschnitt. 3. Ein dritter Vorteil ist der Einsatz von KI-Anwendungen zur Patienten- kommunikation. Bestimmte KI- Lösungen, wie die weiter unten vorgestellte Software dentalXrai Pro, erlauben es, Pathologien farb- lich hervorzuheben: Patienten können so in die Lage versetzt werden, Pathologien nicht nur im schwarz-weißen Bild beschrieben zu bekommen, sondern wirklich zu sehen. Dieser Verständnisgewinn ist ein enormer Vorteil für den Patienten und für eine gemeinsame Entscheidungsfindung. CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN Schnellere und effizientere Prozesse, eine Entlastung der Ärzte, eine bessere Pa- tientenkommunikation, eine genauere Detektion und schlussendlich eine bes- sere Diagnostik- und Therapiequalität – das sind die Vorteile, die KI-Anwen- dungen versprechen. Zudem soll KI künftig auch mit immer komplexeren medizinischen Daten umgehen kön- nen. Am Horizont erscheint die Vision, Diagnostik und Therapie durch intelli- gente Datennutzung und Verknüpfung personalisierter zu gestalten und Be- handlungen präziser durchzuführen. Medizin und Zahnmedizin können frü- her intervenieren und präventiver sein. Allerdings stehen dem heute noch zahl- reiche Hürden entgegen. Das junge Feld der KI-Forschung in der Medizin ist bisher methodisch nur bedingt in der Lage, belastbare Ergebnisse zu er- zeugen. Viele KI-Anwendungen kom- men über das Forschungsstadium zu- nächst nicht hinaus. Es zeigt sich, dass der Schritt von der Forschung in die Anwendung – anders als es die mitunter euphorisch vorgetragenen Visionen vermuten lassen – in der Praxis alles Abb. 4: KI-Modelle sind aufgrund ihrer komplexen intrinsischen Struktur oft nicht erklärbar, also „Black Box Modelle“. Sie sind in der Lage, auf Bildern beispielsweise Hähne von Katzen und Pferden zu unterscheiden (a). Durch neue Techniken zur Erklärbarkeit (Re-Identifikation von für die Erkennung relevanten Bildarealen beziehungsweise Pixeln, b) kann untersucht werden, worauf die KI schaut: In (c) wird deutlich, dass für Hähne und Katzen logische und auch für Menschen relevante Merkmale die KI-Entscheidung beeinflussen; für die Entscheidung „Pferd“ zieht die KI jedoch ein Copyright-Label zurate: Offensichtlich enthielt der Trainingsdatensatz viele Pferdebilder mit Copyright-Labeln; das Modell hat fälschlicherweise gelernt, ein solches Label mit dem Vorhandensein eines Pferdes zu assoziieren. Um solche Verzerrungen zu erkennen, sollten medizinische KI-Modelle zwingend transparent auf ihre innere Logik und Erklärbarkeit geprüft werden. Quelle: modifiziert aus: Schwendicke et al., 2020 Black Box Modell KI 44 | ZAHNMEDIZIN

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