Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

Die Leistungsfähigkeit der zahnärzt- lichen Versorgung in Deutschland haben wir in den vergangenen Monaten eindrucksvoll unter Beweis stellen können. Patientinnen und Patienten konnten sich auch wäh- rend der Corona-Krise mit all ihren Unsicherheiten darauf verlassen, dass sie zeit- und wohnortnah hoch- wertig zahnmedizinisch versorgt werden – und dies flächendeckend im ganzen Land. Die freiberufliche und selbstverwaltete Versorgung in Deutschland ist ein weltweit anerkanntes Erfolgsmodell. Bedroht wird dieses gut funktionie- rende Gesundheitssystem aber in zunehmenden Maße durch die Vergewerblichung und Kommerzia- lisierung der Versorgung. Meine Kollegen im KZBV-Vorstand und ich warnen seit Jahren vor den immer massiveren Veränderungen durch Investoren-betriebene Zahnmedizi- nische Versorgungszentren (iMVZ) in der Versorgungslandschaft. Nach Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vor 17 Monaten hatten wir zugesagt, dass wir genau evaluieren werden, wie sich die Regelung der gestaffel- ten Beschränkung der Gründungs- befugnis von Krankenhäusern für zahnärztliche MVZ auf die Investitions- bestrebungen von Private-Equity- Investoren und die Zunahme von iMVZ auswirken wird. Als Ergebnis liegen nun zwei von uns beauftragte Gutachten vor, deren Analysen eine deutliche Sprache sprechen. So bestätigt das IGES-Gutachten, dass iMVZ kaum einen Beitrag zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung leisten und sich gerade nicht in strukturschwachen und ländlichen Regionen niederlassen. Auch der oft gehörte Hinweis, dass iMVZ flexible Arbeitszeitmodelle ins- besondere für jüngere Zahnärztinnen und Zahnärzte bieten, wird durch das IGES-Gutachten als Schein- argument entkräftet. Es kann sogar festgestellt werden, dass der Anteil von Teilzeitbeschäftigten unter den angestellten Zahnärzten in iMVZ um mehr als zehn Prozentpunkte unter dem Wert in den Einzelpraxen liegt. Im Klartext heißt das: Wir brauchen MVZ nicht, um jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten ein attraktives, flexibles Berufsangebot zu machen. Auch liefert das Gutachten Hinweise, dass iMVZ sich nicht nennenswert an der Versorgung vulnerabler Patientengruppen, wie älteren Menschen, Menschen mit Behin- derungen, aber auch Kindern, beteiligen. Aufsuchende Betreuung und Prävention bei Kindern sind offensichtlich nicht rentabel genug für die Investorenbranche. Schließlich bestätigt das IGES-Gut- achten unsere Sorge, dass in iMVZ zahnmedizinische Entscheidungen von Kapitalinteressen überlagert werden könnten. Wir müssen also heute festhalten: Mit der Einführung des § 95 Abs. 1b im SGB V wurde zwar ein Schritt in die richtige Richtung gemacht, die Ausbreitung von iMVZ und die damit verbundenen, negativen Auswirkun- gen auf die Versorgung, sind jedoch nicht eingedämmt und schon gar nicht gestoppt worden. Dies wird insbesondere am ungebrochenen Wachstumstrend deutlich: Im März 2020 gab es bereits 207 iMVZ. Unsere Warnungen wurden von der Politik in der Vergangenheit gerne mit dem Satz kommentiert, es sei doch egal, wer die Patientinnen und Patienten im Land versorgt. Die nun vorliegenden Gutachten aber zeigen, dass es eben doch nicht egal ist, wer versorgt! Spätestens jetzt sollte dies allen klar sein. Das Gutachten von Prof. Helge Sodan zeigt den weiteren gesetz- geberischen Handlungsbedarf klar auf: Dringend notwendig ist die Einführung eines MVZ-Registers, das in Anlehnung an die Zahnarzt- register bei den KZVen und der KZBV geführt werden sollte, um gesicherte und umfassende Informa- tionen über Inhaber- und Ketten- strukturen der iMVZ zu bekommen. Außerdem ist es erforderlich, in unsere Zulassungsverordnung spezifisch auf MVZ zugeschnittene Eignungskriterien aufzunehmen. Die mit dem TSVG eingeführten, spezifisch für zahnärztliche iMVZ geltenden Voraussetzungen des § 95 Abs. 1b SGB V müssen passgenau fortentwickelt und gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die der ungehindert fortbestehenden Konzentration von iMVZ auf urbane, bereits gut bis überversorgte Regio- nen mit überdurchschnittlichem Medianeinkommen zuverlässig entgegenwirken. Ein „Weiter so“ auf dem Weg zu mehr Vergewerblichung und Industrialisierung darf es nicht geben. Dem werden wir entschieden entgegentreten. Alles andere würde unsere bislang hervorragend funktionierende flächendeckende und wohnortnahe Versorgung nachhaltig gefährden. Deshalb werden wir die verbliebene Zeit der Legislaturperiode dieses Bundestags dazu nutzen, die genannten Forde- rungen nachdrücklich in die Politik zu tragen. Dr. Wolfgang Eßer Vorsitzender des Vorstands der KZBV Einen Beitrag zu den iMVZ-Gutachten finden Sie auf Seite 18. Foto: axentis.de / Lopata Es ist eben doch nicht egal, wer die Menschen versorgt! zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2140) 06 | LEITARTIKEL

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