Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2208) vielmehr um eine rasch wachsende, benigne, reaktive Kapillarproliferation, die auch als eruptives Angiom oder lobuläres, kapilläres Hämangiom bezeichnet wird [Patrice et al., 1991]. Die Ätiologie ist unklar: Traumen, eine medikamenteninduzierte Stimulation, geringgradige Strahlenbelastungen oder hormonelle Effekte werden als Ursachen in Betracht gezogen [Koo et al., 2017]. Letzteres wird als Ursache des Granuloma gravidarum bei Schwangeren angesehen [Silva de Araujo Figueiredo et al., 2017]. Ob die stattgefundene Radiojodtherapie der kausale Faktor bei der Entwicklung des pyogenen Granuloms dieser Patientin gewesen sein könnte, blieb im Rahmen der Literaturrecherche unklar. Pyogene Granulome werden, wie in unserem Fall, meist nicht größer als zehn Millimeter im Durchmesser und stellen den mit Abstand größten Anteil an vaskulären Tumoren im Erwachsenen- alter dar [Plötz et al., 2012]. Durch das schnelle Wachstum kommt es leicht zur Erosion der Epidermis und einer dadurch bedingten Freilegung der Kapillaren. Die fragilen Kapillarwände erklären die typischerweise erhöhte Blutungsneigung dieser Tumoren. In einer retrospektiven Analyse, die 155 Patienten inkludierte, war das Ver- hältnis erkrankter Männer zu Frauen 1:1,2, das Durchschnittsalter lag bei 35,3 Jahren. Das Gesicht war mit 30 Prozent der Fälle am häufigsten betrof- fen, während nur knapp 10 Prozent der Fälle im oralen Bereich aufgetreten waren. Eine weitere Prädilektionsstelle waren die Finger (23 Prozent), wäh- rend sich die übrigen Fälle auf die gesamte Körperoberfläche verteilten [Koo et al., 2017]. In einer anderen retro- spektiven Studie mit 408 Patienten war der Kopf-Hals-Bereich die häufigste anatomische Lokalisation, wobei be- sonders die Lippen und die intraorale Schleimhaut betroffen waren [Giblin et al., 2007]. Differenzialdiagnostisch sind sowohl benigne vaskuläre Tumoren wie Hä- mangiome oder maligne Lymphome, Melanome oder Basazellkarzinome ab- zugrenzen [Wollina et al., 2012]. Da sich ein pyogenes Granulom nur selten spontan zurückbildet, ist fast immer die Entfernung des Tumors indiziert. Hierfür wird in der Literatur eine Vielzahl von Techniken (Exzision, Kürettage, Kryotherapie, Sklerosierung und Laserablation) beschrieben, wobei sich die chirurgische Exzision oder al- ternativ die Laserablation als Therapie- verfahren der Wahl durchgesetzt haben [Akamatsu et al., 2015; Gilmore et al., 2010; Koo et al., 2017; Wollina et al., 2012]. Nur selten werden beide Therapien innerhalb einer Studie statistisch ver- glichen. Hierbei interessieren vor allem die Rezidivraten und der ästhetische Erfolg der Behandlung. In der Studie von Koo und Mitarbeitern mit 155 Fällen traten bei einer mittleren Nach- beobachtungszeit von 39 Monaten nur bei knapp 8 Prozent der Fälle Rezidive auf [Koo et al., 2017]. Aufgrund der ge- ringen Fallzahl war der etwas höhere Rezidivanteil bei der Laserablation gegenüber der chirurgischen Exzision statistisch nicht signifikant. Während sich bei der Lasertherapie kaum sicht- bare Narben zeigen, sind die Rezidiv- raten bei der chirurgischen Entfernung geringer [Raulin et al., 2002; Gilmore et al., 2010]. Im oralen Bereich ist beim CO 2 -Laser besonders die gute Hämostase während der Tumor- exzision hervorzuheben [Barak et al., 1990; Truschnegg et al., 2016]. \ FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Die Gesichtshaut sollte immer in die zahnärztliche Blickdiagnostik einbezogen werden. \ Spontan blutende Veränderungen der Gesichtshaut oder der oralen Schleimhaut bedürfen stets einer histopathologischen Abklärung. \ Das pyogene Granulom ist eine benigne, aber variantenreiche Läsion und tritt sehr häufig im fazialen und oralen Bereich auf. \ Sowohl die chirurgische Exzision als auch die Laserablation haben sich beim pyogenen Granulom als zuverlässige Therapieverfahren etabliert. Abb. 5: Rand des pilzförmigen Tumors mit der Ulzeration und Übergängen zur noch erhaltenen Epidermis Richtung Abtragungsrand (HE-Färbung, Originalvergrößerung 50x) Quelle: Bernd Katzer Abb. 6: Dicht gepackte Kapillaren mit prominenten Endothelien und entzündlicher Überlagerung durch Granulozyten und auch Lymphozyten HE-Färbung, Originalvergrößerung 200x) Quelle: Bernd Katzer 74 | ZAHNMEDIZIN

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