Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2214) scheint dies nicht mit einem ausge- prägten Antisemitismus verbunden ge- wesen zu sein. Hausmann verteidigte seine Dissertation im Januar 1933 und konnte die Arbeit unter der Rubrik „Beiträge zur pathologischen Physio- logie der Entzündung“ in der von Fischer-Wasels herausgegebenen Frank- furter Zeitschrift für Pathologie im gleichen Jahr veröffentlichen. 6 DER KURZE TRAUM EINER HOCHSCHULKARRIERE Parallel zu seiner Doktorandentätig- keit im Senckenbergischen Patholo- gischen Institut arbeitete Hausmann ab Juni 1932 als unbezahlter Assistent am zahnärztlichen Institut der Frank- furter Universität, sowohl in der Ab- teilung für konservierende Zahnheil- kunde (Prof. Erich Feiler) als auch in der chirurgischen Abteilung (Prof. Otto Loos). Das Wirken des späteren Reichsdozentenführers Otto Loos (1871–1936) an dem aus der Freiherr Carl von Rothschild‘schen Stiftung Carolinum hervorgegangenen „Zahn- ärztlichen Universitäts-Institut“ ist seit den 1980er-Jahren kontrovers dis- kutiert worden, ohne allerdings nach- haltigen Einfluss auf die universitäre Erinnerungskultur ausgeübt zu haben. 7 Mehrere zahnmedizinische Disser- tationen zur Geschichte des Instituts blenden auch die Verdrängung jüdischer Wissenschaftler nach 1933 weitgehend aus. 8 In einer Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum der Stiftung von 1990, die das Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) der Jo- hann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, auch aktuell im Volltext als Referenz zu seiner Geschichte angibt, 9 fand lediglich das prominenteste Opfer der national- sozialistischen Vertreibung unter den Zahnärzten an der Frankfurter Univer- sität, Hausmanns zweiter Chef Erich Feiler (1882–1940), Erwähnung. 10 Feiler war als Frontkämpfer im Ersten Welt- krieg zunächst nicht entlassen worden, musste dann 1934 aber doch seine Zwangsemeritierung hinnehmen. Er emigrierte 1935 nach Großbritannien, konnte dort seine wissenschaftliche Laufbahn – anders als der in dieser Reihe vorgestellte Hans Türkheim 11 – nicht fortsetzen 12 und wurde zunächst auch in nicht ins britische Zahnärzte- register aufgenommen. 13 Im Jahr 1958 hatte Hausmann eine eidesstattliche Erklärung als Beweis- mittel zu den von ihm geltend ge- machten Ansprüchen nach dem „Bun- desgesetz zur Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst“ 14 und dem „Bun- desentschädigungsgesetz“ 15 abgeben müssen. Hierin schildert er das Ende seiner kurzen akademischen Laufbahn: „Am 31. März 1933 wurden die jüdi- schen Assistenten des Instituts von Herrn Prof. Dr. Winkler, dem Vertreter des Direktors, zu sich gebeten und aufgefordert, am folgenden Tag, dem 1. April 1933 im Interesse ihrer eigenen Sicherheit nicht zu erscheinen. Eine im Anschluss [danach] mit den Prof. Drs. Loos und Feiler geführte Unterredung liess die weitere Ausübung meiner Assistententätigkeit nicht mehr zweck- dienlich erscheinen. Dazu kommt auch, dass die Stimmung am zahnärzt- lichen Institut für Juden sehr unerfreu- lich war. Da ich bis zu diesem Zeit- punkt ad honorem arbeitete und nach meinen Informationen eine Möglich- keit für die Dozentenlaufbahn in Deutschland nicht mehr gegeben war, setzte ich meine Assistententätigkeit nach dem 1. April nicht mehr fort.“ 16 IM EXIL AUF DER SUCHE NACH BERUFLICHEN PERSPEKTIVEN Da er auch keine Möglichkeiten einer Niederlassung sah, verließ Hausmann nur wenig später, am 20. April 1933, Frankfurt in Richtung Frankreich. Durch zunächst weniger restriktive Visaregelungen gehörte Frankreich 1933 zu den wichtigsten europäischen Aufnahmeländern für jüdische, aber auch für politische Flüchtlinge. Als Arzt oder Zahnarzt zu arbeiten war ohne ein erneutes Studium allerdings unmöglich. In einer 1933 in den Zahnärztlichen Mitteilungen veröffent- lichten Notiz wurde das französische „Gesetz über Ausübung des zahnärzt- lichen Berufs vom 21. April 1933“ zitiert, nach dem ausländischen Stu- denten, „die die Erlangung des Zahn- arzt-Diploms betreiben [...] kein Examen und kein Teil ihrer Studienzeit [...] erlassen [wird], wie lange sie auch immer im Auslande studiert haben 6 Hausmann, 1933, 431–451; 7 Groß, in: Zahnärztliche Mitteilungen 3/2020, 148–150; 8 Bald-Duch, 1977; Roeloffs-Nuthmann, 1991; 9 Carolinum Zahnärztliches Universitäts-Institut gGmbH der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main:/ /www.uni-frankfurt.de/ 71289936/SwitchPage_71289936 [02.10.2020]; 10 Windecker, 1990, S. 49–50; 11 Krischel/Hohmann/Halling, in: Zahnärztliche Mitteilungen 5/2020, 440–442; 12 Feiler, 2006, S. 256; 13 Zamet, 2007, S. 277; 14 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BWGöD) vom 11.05.1951 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 1951 Teil I Nr. 21, ausgegeben am 12.05.1951, Seite 291); 15 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom 18.09.1953 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 1953 Teil I Nr. 62, ausgegeben am 21.09.1953, Seite 1387; zuletzt geändert durch Artikel 10 G. v. 12.12.2019 BGBl. I S. 2652); 16 Dr. Ernesto Hausmann, Eidesstattliche Erklärung, Buenos Aires, 3. März 1958, in: Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HStAW) Best. 518 Nr. 14000, Bl. 52; 17 Zahnärztliche Mitteilungen 41 (1933), S. 1159; 18 Dr. Ernst Hausmann, Schilderung des Verfolgungsvorgangs, Buenos Aires, 26. Januar 1956, in: HStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 15; TÄTER UND VERFOLGTE Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ lief das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 23-24/2020 gibt es einen Abschlussbericht. Alle bisherigen Beiträge finden Sie via QR auf zm-online.de. DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat 80 | GESELLSCHAFT
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