Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2215) mögen“. 17 Hausmann ging schon im August 1933 nach Spanien, konnte sich aber auch dort durch Gelegenheits- arbeiten nur „einen kargen Lebens- unterhalt verdienen“. 18 In Barcelona heiratete er im Oktober 1934 Ilse Heil- born, die wiederum als Hausangestellte arbeitete. In der Hoffnung auf eine berufliche Perspektive traten die Hausmanns im Februar 1936 die Reise nach Palästina an. Mit Großbritannien und den USA gehörte das damals britische Mandats- gebiet zu den drei wichtigsten Emigra- tionszielen von Zahnärzten. Auch wenn hier lediglich die Erteilung einer Lizenz zur Berufsausübung und kein neues Studium notwendig war, unter- lag die Einwanderung halbjährlich festgelegten Quoten, die abhängig von Beruf, Vermögen und Herkunftsland waren. 19 Ernst und Ilse Hausmann waren allerdings mit einem Touristenvisum eingereist und ihre vage Hoffnung auf eine „Erlaubnis für einen Dauer- aufenthalt“ erfüllte sich nicht. In der Zwischenzeit war in Spanien, wo sie noch eine Aufenthaltsgenehmigung besaßen, der Bürgerkrieg ausgebro- chen, so dass die Eheleute zurück nach Deutschland gingen, um von hier aus die Auswanderung zu organisieren. Bis März 1937 waren sie in Berlin, dann erhielten sie das ersehnte Touristen- visum für Paraguay verbunden mit einem Transitvisum für Argentinien. Am 20. März schifften sich die Hausmanns in Genua an Bord des französischen Dampfers Florida ein und kamen am 9. April in Buenos Aires an. 20 Hausmann gibt ihn seiner „Schilderung des Verfolgungsvorgangs“ keine Hin- weise auf seine Beweggründe für das Auswanderungsziel Südamerika. Wie viele andere nutzen die Hausmanns das Transitvisum zur illegalen Einwan- derung nach Argentinien, das Mitte der 1930er-Jahre trotz der starken faschistischen Bewegung innerhalb des Landes zu einem der wichtigsten Fluchtziele für europäische Juden in Lateinamerika wurde. 21 Von den min- destens 50 Zahnärzten und Dentisten, die nach Mittel- und Südamerika flo- hen, siedelten sich etwa ein Drittel in Argentinien an, obwohl die grund- sätzlich eher günstigen Arbeits- und Lebensbedingungen sich für die Zahn- ärzte unter ihnen durch strenge Zulas- sungsbedingungen stark relativierten. 22 Hausmann, der sich nun Ernesto nannte, musste zunächst sogar das ar- gentinische Abitur erwerben, um dann ein erneutes Studium der Zahnmedizin aufzunehmen, das er schließlich im Oktober 1953 erfolgreich abschließen konnte, 20 Jahre nach seiner Approba- tion in Frankfurt. Hausmanns Ehefrau war im Januar desselben Jahres ver- storben: „Sie hat die ganzen Jahre un- unterbrochen gearbeitet [...] auch weil sie mir bei meinem neuerlichen zahn- ärztlichen Studium helfen wollte.“ 23 EIN VERFOLGTER MIT VERBLASSTEN SPUREN Dokumentiert ist Hausmanns beruf- licher Lebensweg als Zahnarzt auf der Flucht einzig in seiner Entschädigungs- akte. Erst sie macht ihn als verfolgten Zahnarzt erkennbar, da er im Deut- schen Zahnärztebuch von 1932/33 nicht verzeichnet ist, daher auch nicht in einer der nächsten Ausgaben „ver- schwinden“ und so als potenziell ver- folgt gekennzeichnet werden konnte. Eine ganze Reihe von approbierten, aber unmittelbar danach emigrierten Zahnärztinnen und Zahnärzten sind daher nur mithilfe von Datenbanken zu verfolgten Studierenden aufzuspüren. Hausmann hatte zugleich keine Gele- genheit sich wirtschaftlichen Wohl- stand zu erarbeiten. Seine Ansprüche auf Entschädigung laut „Bundesent- schädigungsgesetz“ umfassten daher vor allem den sogenannten „Schaden im beruflichen Fortkommen“. Das Ver- fahren erstreckte sich dennoch über einen Zeitraum von fünf Jahren. Nach einer ersten Abschlagzahlung im Jahr 1956 24 erhielt Hausmann die Höchst- summe von insgesamt 40.000 Mark, trotz unmittelbar nachgereichtem de- taillierten Nachweis seiner Einkünfte aus den Jahren 1937–1955 25 erst drei Jahre später. 26 Ernst Hausmann gehört zu den ver- folgten Zahnärzten im National- sozialismus, zu denen relativ wenige Quellen überliefert sind. Dies liegt aber keineswegs daran, dass sein Leben nicht bewegt gewesen wäre. Die ver- suchte Emigration über mehrere Statio- nen – Frankreich, Spanien, Palästina, schließlich Argentinien – sowie das erneute Studium dort und der Erfolg, nach 20 Jahren wieder als Zahnarzt ar- beiten zu können, sind große Lebens- leistungen. Vielmehr ist allgemein zu beobachten, dass die Quellenlage zu verfolgten Personen häufig schwieriger ist als zu denjenigen, die in den 1930er- und 1940er-Jahren in Deutsch- land bleiben und hier Karriere machen konnten. Umso wichtiger ist es, auch an Ernst Hausmann zu erinnern. \ 19 Sonino, 2016; 20 Dr. Ernst Hausmann, Schilderung des Verfolgungsvorgangs, Buenos Aires, 26. Januar 1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 16; 21 Schwarcz, 2015, S. 396–409; 22 Depmer, 1993, S. 71; 23 Dr. Ernst Hausmann, Schilderung des Verfolgungsvorgangs, Buenos Aires, 26. Januar 1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 16; 24 Bescheid der Entschädigungsbehörde vom 12.09.1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 38; 25 Eidesstattliche Versicherung vom 03.10.1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 48; 26 Bescheid der Entschädigungsbehörde vom 09.04.1959, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 56. Quelle: HStAW Abt. 518, Nr. 14000, Bl. 13 Abb. 2: Touristenvisum für Paraguay vom 10. März 1937 GESELLSCHAFT | 81
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