Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2260) Im Anschluss an die wissenschaftlichen Vorträge diskutierten Dr. Peter Engel, Präsident der Bundes- zahnärztekammer (BZÄK), und Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), im Beisein von Prof. Dr. Roland Frankenberger, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), die aktuelle Situation der Zahnmedizin. Zahnmedizin ist systemrelevant Eßer stellte zunächst heraus, dass die bisherige Ent- wicklung in der Pandemie die wichtige Rolle der Zahn- medizin gezeigt habe. „Wir sind nicht nur Dental- kosmetiker, sondern wir sind ganz entscheidend wichtig für die Primärversorgung in der ambulanten Medizin.“ Engel bekräftigte diese Einschätzung: „Für mich ist ganz klar: Zahnmedizin ist orale Medizin. Und damit ist die Zahnmedizin integraler Bestandteil der Medizin. Das wird leider im politischen Bereich nicht so gesehen.“ Deshalb warne die Bundeszahnärztekammer auch vor „Irrwegen“, wie sie teilweise – auch international – beschritten würden, bei denen zahnärztliche Leistungen zunehmend von Nichtzahnärzten erbracht werden sollen. Eine solche „Trivialisierung“ der Zahnmedizin sei ausgesprochen gefährlich. Zahnmedizin in der Pandemie Zur aktuellen Situation in der zahnärztlichen Versorgung sagte Engel, dass sich die zahnärztlichen Hygiene- maßnahmen bislang bewährt hätten. „Die Zahnarzt- praxis ist ein sicherer Ort für Zahnärztinnen und Zahn- ärzte, Mitarbeiter und Patienten.“ Die Zahnarztpraxen hätten auch bereits vor der Corona-Krise mit rund 70.000 Euro pro Jahr wesentlich mehr in Hygiene investiert als andere Arztgruppen. Hygieneaufwendun- gen in der Corona-Pandemie erschöpften sich jedoch nicht nur in Mehrkosten für Mund-Nasen-Schutz und Desinfektionsmittel, sondern kosteten durch verlängerte Rüstzeiten und das Patientenmanagement vor allem Zeit, so dass der Patientendurchfluss erheblich geringer ausfalle. Eßer bezeichnete es als einen Skandal, dass die gesetz- lichen Kassen den pandemiebedingten Mehraufwand für Hygiene in den Praxen – mit Ausnahme der Corona- Patienten behandelnden Schwerpunktzentren – nicht finanzieren. Erwartungen an die Politik Eßer sieht insgesamt eine „krasse Schlechtbehandlung“ der Zahnärzteschaft in der Krise, die es auf der politischen Ebene zu korrigieren gelte. In den Gesprächen stoße man jedoch bei der SPD in der Regierungskoalition auf einen „ganz entschiedenen Gegner in dieser Frage“. Trotz allem verständlichen Unmut aus der Kollegen- schaft müsse man weiter das politische Gespräch und Unterstützer suchen, „damit wir ein Stück weiter kommen“. Aufgabe der Standesvertretungen sei es, in die kommende Gesetzgebung Parameter für wirtschaftliche Hilfen hineinzubringen. Krisenbedingt in Not geratenen Praxen müsse geholfen werden – da stünden die Krankenkassen in der Verantwortung. Mit Blick auf die exorbitant gestiegenen Hygienekosten forderte Eßer einen „fallbezogenen Pandemiezuschlag“. Insgesamt zeigte er sich vorsichtig optimistisch: Die Chancen auf Hilfen seitens der Politik sähen aktuell „etwas besser aus als im März oder April“. Engel erwartet von der Politik neben wirtschaftlichen Hilfen auch Entlastungen bei den Bürokratieaufwendun- gen, die inzwischen ein enormes Ausmaß angenommen hätten. Investoren-MVZ Besorgt äußerten sich Engel und Eßer über die stei- genden Zahlen der Investoren-MVZ. Eßer berichtete, bundesweit gebe es bereits über 200 solcher MVZ mit einem Marktanteil von inzwischen rund 20 Prozent. Hier sei „ganz klar ein renditeorientiertes Behandlungs- verhalten“ festzustellen – das zeigten die Zahlen der KZBV. Die Investoren-MVZ beteiligten sich „nahezu nicht“ an der aufsuchenden Betreuung Pflegebedürftiger und der Betreuung der Jüngsten. Sie lösten auch keine Probleme in der Fläche. Beide warnen bereits seit Jahren vor der zunehmenden Vergewerblichung des Berufsstands. Leider gebe es in der Politik jedoch eine große „wirtschaftsliberale Lobby, die das alles ganz toll findet“, stellte Eßer fest. Das sei eine „dramatische Entwicklung für das Gesundheitswesen in Deutschland insgesamt“, denn im ärztlichen Bereich sei die Entwicklung noch weiter vorangeschritten. „Schicken Sie eine Mail an die Politiker“ Abschließend forderte Eßer die Zahnärzte auf, selbst politisch aktiv zu werden und ihre Meinung kundzutun – die Vertreter der Standespolitik würden in der Politik „immer nur als Funktionäre behandelt“: „Schicken Sie eine Mail an die Politiker. Schreiben Sie einen Brief. Posten Sie etwas. Und machen Sie auf die Missstände aufmerksam. [..] Machen Sie sich Luft.“ MEHR AUF ZM-ONLINE Bilderstrecke zum Zukunftskongress POLITISCHES GESPRÄCH 18 | ZAHNMEDIZIN

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