Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2272) D ie Beschreibung saisonaler Atem- wegserkrankungen ist so alt wie die moderne Medizin. Um 400 vor Christus beschrieb Hippokrates in seinem Werk „Epidemien“ den „Husten des Perinthus“ – dieser mani- festierte sich durch Symptome wie Fieber, Atemnot, Lungenentzündung und zuweilen letalen Ausgang und war ein ausgewiesenes Winterleiden. Ob dies auch für COVID-19 gilt, ist seit Pandemiebeginn umstritten. DIE GRIPPE ALS INDIKATOR Vor dem bevorstehenden Winter geben zwei Fakten Anlass zur Sorge, meldete Anfang Oktober das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Zum einen sei die saisonale Grippe als Virusinfektion der Atemwege – wie COVID-19 im Winter – viel aktiver. 2019 habe es in den USA in den Herbst- und Wintermonaten 40-mal so viele Grippefälle wie im vorigen Früh- jahr und Sommer gegeben. Historisch gesehen erhöht sich die Infektionszahl in kühleren Monaten immerhin um den Faktor zehn. Zum anderen war bei der Spanischen Grippe in den USA die Zahl der Todesopfer durch den Influenza-Ausbruch von 1918 im Spät- herbst und Winter fünfmal so hoch wie im Sommer. Auch das Institut für Humanvirologie der Universität von Maryland und das Global Virus Network hatten direkt zu Pandemiebeginn im März vorausge- sagt, dass COVID-19 einem saisonalen Muster folgen werde, das anderen Atemwegsviren wie der saisonalen Grippe ähnelt. Sie stützten sich dabei auf Wettermodellierungsdaten von Ländern, in denen sich das Virus zu Beginn ausgebreitet hatte. Die Städte, in denen es zu erheblichen COVID-19-Ausbrüchen gekommen war, haben demnach ein sehr ähnliches Winterklima mit einer Durchschnitts- temperatur von 5 bis 11 Grad Celsius und einer durchschnittlichen Luft- feuchtigkeit von 47 bis 79 Prozent. Zu- dem liegen Wuhan, China, Südkorea, Japan, Iran, Norditalien, Seattle und Nordkalifornien in einer engen Ost- West-Verteilung zwischen den Breiten- graden 30°N und 50°N. FEINSTAUB – EIN VERSTÄRKER Forscher der Johns Hopkins University kommen dagegen zu anderen Ergeb- nissen. Fragen zur saisonalen Variabilität und zu Übertragungsunterschieden zwischen Klimazonen sind „höchst ungewiss“, sagt Ben Zaitchik. Der Pro- fessor für Erd- und Planetenwissen- schaft leitet eine internationale Task Force der Weltorganisation für Meteo- rologie (WMO), die die möglichen Auswirkungen des Wetters auf das SARS-CoV-2 benennen soll. Die WMO warnte bereits im Sommer vor voreiligen Rückschlüssen zu einer Verbindung von Klima und Infektions- geschehen. Noch sei umstritten, „wie Umweltfaktoren in epidemiologische Modelle und Szenarien einbezogen werden sollten. Frühe Analysen [...] haben zu gemischten und nicht schlüssigen Ergebnissen geführt“, teilte die Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit. Ein Anfang August ver- anstaltetes Symposium, bei dem 74 Studien vorgestellt wurden, kommt zu folgenden Ergebnissen: \ Das Virus zeigt keine konsistente Reaktion auf Temperatur, Luft- feuchtigkeit, Wind, Sonnen- einstrahlung oder andere meteo- rologische und umweltbedingte Faktoren. Es gibt aber Hinweise EINFLUSSFAKTOREN AUF DIE PANDEMIE Das Wetter und das Virus Viele große Universitäten – und selbst die US-Raum- fahrtbehörde NASA – gehen der Frage nach, ob Klima, Wind und Wetter die Pandemie beeinflussen. Die Antworten gehen auseinander – auch weil die Forscher das Virus noch nicht über alle Jahreszeiten hinweg untersuchen konnten. Klar ist: Schlechte Luftwerte verschlimmern den Krankheitsverlauf. Foto: AdobeStock_Christine Glade 30 | MEDIZIN

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