Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24
zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2289) durch die Deutsche Forschungsgemein- schaft gefördert. Eine bevölkerungs- repräsentative Studie, die NAKO- Gesundheitsstudie [GnC, 2014], besitzt umfangreiche Biobanken mit Blut- proben und Mikrobiom-Proben aus verschiedenen Körperregionen. Die mikrobielle Kolonisierung des menschlichen Individuums geschieht nicht zufällig. Die Aufnahme der Mikroorganismen erfolgt aus der nähe- ren Umgebung, insbesondere aus der Familie. Die Beziehungen zwischen menschlichem Organismus und Mikrobiom haben sich im Laufe der Evolution über lange Zeiträume ent- wickelt. Das Mikrobiom hat die Ent- wicklung des Menschen begleitet und vice versa [Cornejo Ulloa et al., 2019]. Die Beziehung zwischen Mikrobiom und Individuum ist dynamisch und wird vom Lebensstil beeinflusst. Fak- toren wie Ernährung, Rauchen und Stress können das Gleichgewicht dieses Ökosystems beeinflussen. DAS MIKROBIOM Ein Mikrobiom ist eine komplexe öko- logische Gemeinschaft. Strukturell und funktionell organisierte mikrobielle Gemeinschaften sind als Biofilme an unterschiedlichen Oberflächen ge- bunden [Li und Tian, 2012]. Spezies- übergreifende Kooperationen und An- tagonismen tragen zur ökologischen Stabilität bei. Bakterien innerhalb eines Biofilms können miteinander kommu- nizieren, indem sie diffusionsfähige Signalmoleküle produzieren, diese aus- senden, empfangen und auf empfangene Signalmoleküle wiederum reagieren. Dies wird als Quorum Sensing be- zeichnet und stellt im Rahmen der Kolonisation und Biofilmbildung die Reaktion auf konkurrierende Mikro- organismen und Veränderungen in der Umwelt dar. Quorum Sensing in Bio- filmen beeinflusst auch die Virulenz und Pathogenität von Bakterien und ist daher ein wichtiger Faktor für die Kontrolle bakterieller Infektionen. Die Mikroorganismen in Biofilmen werden so in die Lage versetzt, toleran- ter gegenüber der Wirtsabwehr und antimikrobiellen Stoffen zu reagieren [Preda und Sandulescu, 2019]. Die verschiedenen Mikrobiome des Menschen tragen zu wichtigen metabolischen, physiologischen und immunologischen Funktionen bei [Kilian et al., 2016; Donohoe et al., 2011; Krajmalnik-Brown et al., 2012; Relman, 2015]. Zu diesen Funktionen menschlicher Mikrobiome gehören: \ Differenzierung und Reifung von Schleimhäuten und ihrer Immunsysteme \ Verdauung \ Energiegewinnung \ Stoffwechselregulation und Kontrolle der Fettspeicherung \ Entgiftung \ Unterstützung der Barrierefunktion von Haut und Schleimhäuten \ Regulation des Immunsystems und Feinabstimmung seines Reaktionsmusters für ein Gleich- gewicht zwischen pro- und anti- inflammatorischen Prozessen \ Behinderung der Invasion von und Kolonisierung durch Pathogene Die Zusammensetzung des Mikrobioms zeigt eine hohe Diversität zwischen unterschiedlichen Körperregionen. Auch interindividuell sind die Mikro- biome hochvariabel [Costello et al., 2009]. Trotz dieser Unterschiede ist die Gesamtfunktion der Mikrobiome recht konsistent [Gillings et al., 2015] DAS ORALE MIKROBIOM Die Mundhöhle ist kein homogener Lebensraum, sondern bietet unter- schiedliche Habitate für die mikrobielle Besiedlung. Dies sind Zähne, der gin- givale Sulkus, die Gingiva, Zunge, Wange, Lippe sowie harter und wei- cher Gaumen [Dewhirst et al., 2010]. Diese Habitate bilden ein sehr hete- rogenes ökologisches System und unterstützen das Wachstum sehr unterschiedlicher mikrobieller Ge- meinschaften [Xu et al., 2015]. Die warme und feuchte Umgebung der Mundhöhle ist für das Wachstum unterschiedlicher Mikroorganismen geeignet und bietet von außen zuge- führte und wirtseigene Nährstoffe wie zum Beispiel Proteine und Glyko- proteine des Speichels und der Sulkus- flüssigkeit [van´t Hof et al., 2014]. Im Gegensatz zu den weichgeweblichen Oberflächen der Mundhöhle, bei denen ein stetiger Epithelumsatz erfolgt, bie- ten die Zähne mit ihren harten „non- shedding“-Oberflächen einzigartige Besiedlungsräume für Mikroorganis- men [Marsh und Devine, 2011]. DAS ORALE MIKROBIOM \ 100 Milliarden Bakterien \ 200 prädominierende Bakterienspezies \ 700–1.000 bakterielle Taxa \ Kolonisation harter und weicher Oberflächen \ interindividuelle Variabilität: Jedes Individuum besitzt sein eigenes orales Mikrobiom. \ große Diversität \ orales Mikrobiom = „Fingerprint“ CME AUF ZM-ONLINE Das Mikrobiom und seine Bedeu- tung für die Zahnmedizin Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie 2 CME- Punkte der BZÄK/ DGZMK. ZAHNMEDIZIN | 47
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