Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24
zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2292) zwischen dem Schweregrad der Paro- dontitis und diabetischen Komplika- tionen [Sanz et al., 2018]. Trotz der starken Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der mikro- biellen Besiedlung eines Menschen und seinem Gesundheitszustand sind die kausalen Mechanismen, die diesem Zusammenhang zugrunde liegen, nur unzureichend erforscht. Abhängig von der untersuchten Krankheit sind ähnliche Muster in der Dysbiose des Mikrobioms für verschiedene Körper- regionen und Organsysteme bekannt. Dies führt zur Hypothese, dass es körperweite mikrobiell induzierte Stoff- wechselwege geben muss, die durch mikrobiellen Organ-Cross-Talk mitein- ander verbunden sind [Cornejo Ulloa et al., 2019]. Systematische, groß ange- legte Studien über das Organ-Cross- Talking menschlicher Mikrobiota sind noch nicht verfügbar. Mikrobiom- studien, die in bestehenden popula- tionsbasierten Kohortenstudien mit Langzeit-Follow-up durchgeführt wer- den, sind notwendig, um das Konzept des mikrobiellen Cross-Talk zwischen verschiedenen Mikrobiom-Standorten des Körpers auf seine Rolle für die menschliche Gesundheit und Krank- heit hin zu bewerten. SCHLUSSFOLGERUNGEN Die vielfältigen mikrobiellen Gemein- schaften, aus denen das orale Mikro- biom besteht, befinden sich in einem fein adjustierten Gleichgewicht und bieten Schutz vor Erkrankungen. Es ist wichtig, ihre natürliche Vielfalt zu erhalten. Der individuelle Lebensstil kann das natürliche Gleichgewicht des oralen Mikrobioms stören. Klinisches Ziel sollte es sein, ein symbiotisches Gleichgewicht im oralen Mikrobiom für den Patienten individuell zu er- halten. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Interaktion von (zahn) medizinischem Fachpersonal mit dem Patienten, um das Konzept eines aus- gewogenen oralen Mikrobioms mit seiner hohen Bedeutung für die orale und systemische Gesundheit auch in der entsprechenden Lebenssituation anzuwenden. Wichtige Bausteine dieses Konzepts sind die Schulung des Personals, die Individualisierung geeigneter Präventionsstrategien, die individuelle Beratung zur Ernährung und zum Rauchen. Mundhygienestrategien sollten ermög- lichen, die Biofilmmengen auf einem mit der oralen Gesundheit kompatiblen Niveau zu halten. Hauptanliegen sollte die aktive Erhaltung der Gesundheit und nicht der Umgang mit der Krank- heit sein. Ist eine Dysbiose einmal ein- getreten, sollte das Behandlungsziel darin bestehen, das verlorene ökolo- gische, symbiotische Gleichgewicht wiederherzustellen. Der Einsatz von Antibiotika zur Behandlung oraler Er- krankungen sollte restriktiv gehand- habt werden, um die nützlichen oralen Mikroorganismen zu schützen und Antibiotikaresistenzen zu vermeiden. Die klinische Praxis mit ihrem histo- rischen Schwerpunkt des Manage- ments von Karies und Parodontitis durch Eliminierung der Mikroorga- nismen sollte zu einem proaktiven Management der Mundgesundheit durch einen ökologischen Ansatz für den Gesamtorganismus weiter- entwickelt werden. Dafür ist eine indi- viduelle Beurteilung des oralen Mikro- bioms in Kombination mit klinischen Parametern zur Früherkennung von Individuen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko zu entwickeln, um personalisierte Ansätze zum Erhalt eines gesundheitsassoziierten oralen Mikrobioms zu ermöglichen [Yu et al., 2019]. \ PROF. DR. MED. DENT. MATTHIAS HANNIG \ 1980–1986: Studium der Zahnheil- kunde an der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel \ 1986–2000: wissenschaftlicher Assistent, später Oberarzt an der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie der Universität Kiel \ 1987: Promotion \ 1994: Habilitation für das Fach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde \ 1999: Apl. Professor \ 2000–2002: stellvertretender Direktor der Abteilung Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Paro- dontologie des Universitätsklinikums Freiburg \ seit 2002: Direktor der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar \ 2006–2009: Forschungsdekan der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes \ 2009–2014: Vizepräsident (für Forschung) der Universität des Saarlandes \ seit 2014: Prodekan der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes \ 2016–2018: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung \ seit 2016: Editor-in-Chief „Clinical Oral Investigations“ Foto: Universität des Saarlandes KÜNFTIGE PRÄVENTIVE STRATEGIEN \ individuelle Bewertung des Mikro- bioms und der Wirtsantwort \ frühe Identifizierung von Risikopatienten \ personalisierter Ansatz zur Wiederherstellung eines mit Gesundheit assoziierten Mikrobioms nach einer Dysbiose 50 | ZAHNMEDIZIN
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