Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24
zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2295) bakterien gelb-grünlich, pigmentierte Prevotellen rot-orange oder Veillonel- len violett. Abbildung 2 zeigt das Mikrobiom nochmals auf einem Blutagar ohne Fluoreszenz, dafür aber im Vergleich ohne (links) und mit Zugabe von 0,5 Prozent Saccharose (rechts). Aus unge- fähr 60 verschiedenen Bakterienarten, die vorher in der Kultur sichtbar waren, blieben bei dem skizzierten Versuch nach Zugabe des Zuckers nur zwei bis drei Arten übrig. Die nähere Analyse ergab, dass es sich um Lakto- bazillen, Bifidobakterien und einige wenige, besonders säuretolerante Streptokokken handelte. Das gesunde Mikrobiom ist nach der Zugabe von Zucker also binnen weniger Stunden kollabiert und geschrumpft auf wenige saccharolytische, azidogene, azidophile Arten. Die gute Nachricht: Während in der Labor-Kultur nach Absterben der Begleitkeime eine Re- konstitution des gesunden Mikro- bioms nicht mehr möglich ist und tatsächlich nur wenige azidurische Keime übrig bleiben, kann sich in der menschlichen Mundhöhle ein gesundes Mikrobiom schnell wieder regenerieren, beispielsweise wenn man die schädlichen niedermolekularen Kohlenhydrate eine Zeit lang weglässt und sich ausgewogen ernährt. DER STANDORT MUNDHÖHLE Die menschliche Mundhöhle ist reich an Mikroorganismen. Im Unterschied zu anderen Standorten wie Haut, Darm oder Genitale bietet der Mund verschiedenste Umweltbedingungen nebeneinander. Allein die Temperatur ist mit 36,3 bis 38°C festgelegt. Es gibt hingegen Gradienten von Sauerstoff, die von einem Anteil von 21 Prozent bis hinunter zu 0 Prozent reichen (entspricht Anaerobiose mit sehr nied- rigem Redoxpotenzial im Bereich von -300 mV). Es gibt dazu kreuzend pH- Gradienten (von pH 4,5 bis über pH 8 [Schläfer et al., 2011]) und alle möglichen Abstufungen von Zucker-, Protein- und unzähligen Supplement- Konzentrationen. Dies erklärt die mikrobielle Vielfalt im oralen Mikro- biom. Der Mund ist als Standort begehrt, ob- wohl er durch die Komponenten der Immunabwehr den Keimen das Leben nicht immer einfach macht. Neben den bereits vorgestellten Bakterien fin- den wir regelmäßig Archaeen (metha- nogene Archebakterien), human- pathogene Viren, Bakterienviren (Phagen), Schimmel- und Hefepilze und sogar einzellige Protozoen in der Mundhöhle [Bandara et al., 2019; Horz und Conrads, 2011; Lauritano et al., 2016; Motlagh et al., 2016]. Ab- bildung 3 gibt einen Überblick über den Stammbaum des Lebens, der aus drei Domänen besteht (Eukaryota, Bacteria und Archaea), und zeigt, wel- che dieser Keime bei der Karies und welche bei der Parodontitis eine Rolle spielen. Die gegensätzlichen Eigenschaften des mikrobiellen Einflusses auf die Ent- stehung von Karies (Zuckerabbau, supragingivale Lage, leicht aerob bis anaerob) und Parodontitis (Protein- abbau, subgingivale Lage, anaerob) spiegeln sich interessanterweise in der phylogenetischen Herkunft der Erreger wider: Karies ist eher mit gram- positiven Bakterien und eukaryotischen Hefen der oberen Stammbaumhälfte UNIV.-PROF. DR. RER. NAT. GEORG CONRADS \ 1994: Promotion zum Dr. rer. nat. über Gensonden in der medizinischen Diagnostik (RWTH Aachen) \ 1995 : Forschungsaufenthalt in London (EDI) \ 1999: Habilitation für das Fach Medizinische und Orale Mikrobiologie (RWTH) \ 2000–2002: Visiting Professor an der University of California in Los Angeles (UCLA) \ seit 12/2002: Universitätsprofessor (RWTH) für das Fach Orale Mikrobiologie und Immunologie Conrads ist Gutachter für zahlreiche Institutionen sowie board member beim Journal of Oral Microbiology und Anaerobe Journal. Er ist seit 2016 Träger des Walkhoff-Preises der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung. Foto: UK Aachen CME AUF ZM-ONLINE Das orale Mikrobiom und seine kariogenen Spezies Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie 2 CME- Punkte der BZÄK/ DGZMK. Quelle: Conrads Abb. 2: Reduktion der kultivierbaren Speichelflora nach Zugabe von 0,5 Prozent Saccharose über vier Stunden: Im rechten Ausschnitt (nach Zuckerzugabe) ist die Vielfalt deutlich reduziert und beschränkt sich auf azidophile Streptokokken, Laktobazillen und Bifidobakterien. ZAHNMEDIZIN | 53
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