Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24
zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2300) um den Glucoseanteil zu vernetzen. Dabei können je nach GTF-Variante wasserlösliche Dextrane (hauptsäch- lich C1-C6 glykosidische Bindungen), aber auch wasserunlösliche und damit besonders haftfähige Mutane (mit zusätzlichen C1-C3- und C1-C4-Seiten- ketten) entstehen [Conrads et al., 2014; Koo et al., 2009]. Mutane redu- zieren die Diffusion der Speichelpuffer erheblich. NEBENROLLEN: HELFERKEIME UND HELFERSHELFERKEIME Ein wenig kompliziert wird die Karies- Mikrobiomforschung, wenn man die Rolle von Helferkeimen und Helfers- helferkeimen betrachtet. So kommen in kariösen Läsionen auch regelmäßig und in großer Zahl Bakterien vor, die eigentlich gar keine Zucker mögen, aber dennoch die Läsion als Standort bevorzugen. Die Veillonellen, Neisse- rien, Campylobacter und Propioni- bakterien zum Beispiel konsumieren die Säuren in Läsionen und suchen da- her die Gesellschaft von Säureprodu- zenten. Wenn sie Säuren konsumieren, könnten sie eigentlich als anti-kario- gen gelten, zumal sie – wie Veillonella parvula – aus der starken Milchsäure mildere Säuren erzeugen (Essig- und Propionsäure). Leider feuern sie aber durch ihren Säurekonsum die weitere Säureproduktion an, sie melken quasi die saccharolytischen Milchsäurebakte- rien, und die Endprodukt-Hemmung wird vermieden. Andere Spezies wie- derum, wie Prevotellen, sind wenig saccharolytisch, aber erzeugen ein anaerobes Milieu, in dem Bakterien nur mit schnellem Substratumsatz zurechtkommen und dabei viel Säure produzieren. DIEE ANTIKARIOGENEN GEGENSPIELER In natürlich belassenen Systemen wird zumeist ein Gleichgewicht (Homö- ostase) erreicht. Das ist robust, wenn man es mit Noxen wie Zuckerkonsum bei der Karies oder Stress & Rauchen bei der Parodontitis nicht übertreibt. Wer stellt das Gleichgewicht bei vorübergehender Säureproduktion wie- der her, wenn es nicht die oben be- schriebenen Säurekonsumenten sind? Es sind ebenfalls Mitglieder des oralen Mikrobioms. Diese antikariogenen Gegenspieler erfüllen eine wichtige Rolle. Es sind ausgerechnet wieder Firmicutes und besonders einige Strep- tokokkenarten wie S. gordonii und S. dentisani, die bei einem Absenken des pH-Wertes unter 6,0 – also noch vor Erreichen des kritischen Wertes von pH 5,5 und bei zwingender Anwe- senheit der Aminosäure Arginin – eine re-alkalisierende Kaskade, den argino- lytischen Stoffwechselweg (Arginin- Diaminase-Weg), anwerfen. Daneben sind diese Probiotika glück- licherweise zahnständig und produzie- ren zelleigene antimikrobielle Substan- zen (Bacteriocine), die ihnen den Standort Zahn sichern und nebenbei unsere Zähne schützen [Camelo- Castillo et al., 2014; Conrads et al., 2019b]. Bacteriocine sind kleine anti- mikrobielle Peptide, die von Bakterien gebildet werden, um damit ihre direkten Nahrungskonkurrenten (und damit meist verwandte Arten oder Stämme) zu dezimieren, indem sie ihre Membran durchlöchern. Einige werden bereits industriell genutzt. Nisin zum Beispiel, von Lactococcus lactis produziert, wird als E234 Lebens- mitteln wie Pudding oder Käse zuge- setzt und schützt vor Listerien-Befall. Es gibt unzählige Bacteriocine. Eine Nutzung als Antibiotika ist prinzipiell möglich. Nachteilig ist ihre Hyper- spezifität, so dass meist nur bestimmte Arten oder Stämme bekämpft werden, wie auch ihr allergisierendes Potenzial. S. dentisani produziert sogar elf Bacteriocine und mindestens zwei davon richten sich gegen S. mutans [Conrads et al., 2019b]. FAZIT UND AUSBLICK Nur die moderne molekulare Mikro- biomforschung gibt uns ein Kom- plettbild aller bei der Kariogenese involvierten Spezies. Von der Mikro- biomforschung ist es ein konsequen- ter (Fort-)Schritt zur Metagenom- und Metabolomforschung. Dabei werden ebenfalls Spezies (Taxa) betrachtet, aber nun verbunden mit ihren Genom-kodierten Eigenschaften, darunter metabolische Funktionen wie Zuckerabbau und Säureproduk- tion, aber eben auch Adhärenz- vermögen sowie EPS- und Glucan- Produktion. Auch gegenläufige Funktionen wie die Re-Alkalisierung durch das Arginin-Diaminase System sind damit erfassbar. Ein therapeutisches Traumziel ist es, im gestörten Mikrobiom eines Patienten fehlende oder abhanden- gekommene metabolische Komponen- ten durch Zugabe von Probiotika wie S. dentisani wieder zu ersetzen. Ist das orale Mikrobiom auf diese Weise nicht zu reparieren, könnte man es durch eine natürliche oder künstliche Biofilm-Transplantation ersetzen – ähnlich der Stuhltransplantation zur Heilung einer pseudomembranösen Enterkolitis. Erste Ansätze einer Transplantation des oralen Biofilms gibt es bereits [Nascimento, 2017]. Es gibt dabei prin- zipiell zwei Möglichkeiten: die Über- tragung der gesunden Flora eines Spenders oder die Übertragung einer – quasi am Reißbrett entworfenen – Idealflora. Die Übertragung von einem Spender hat natürlich eine etwas un- appetitliche Komponente und ihr mangelt es an Reproduzierbarkeit und Sicherheit. Dafür können hier mikro- bielle Lebensgemeinschaften übertra- gen werden, die perfekt aufeinander eingespielt auch Arten enthalten, die isoliert in Kultur nicht anzüchtbar sind und daher nicht künstlich hinzugefügt werden könnten. Eine industriell her- stellbare Mundgesund-Flora erscheint da realistischer – ein Vorbild könnte die von Forschern um den Mikro- biologen Tomas de Wouters an der ETH Zürich entwickelte künstliche Darmflora sein, mit der Darm- und All- gemeinerkrankungen therapiert werden sollen. Von der Mikrobiomforschung und ihren therapeutischen Möglich- keiten zur Kariesprävention ist insofern noch einiges zu erwarten. \ ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 58 | ZAHNMEDIZIN
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=