Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2306) FORTBILDUNG MIKROBIOM Das Keimspektrum des Endodonts Ali Al-Ahmad, Elmar Hellwig Trotz aller technischen Fortschritte greift die moderne Endodontie heute noch auf ein lange Jahre etabliertes Behandlungsregime zurück: Entzündungen werden durch Entnahme des betroffenen Gewebes und anschließendes Füllen beziehungsweise Verschließen des endodontischen Volumens therapiert. Dabei ist bis heute unklar, was sich im Zahninneren und im periapikalen Gewebe abspielt, wie Entzündungen entstehen, warum genau Behandlungen erfolgreich sind oder scheitern. Eine Antwort darauf könnte die Mikrobiom-Forschung geben, die das Keimspektrum des Endodonts in den Fokus nimmt. D ank der besseren technischen Möglichkeiten für die Therapie endodontischer Infektionen – zum Beispiel durch den Einsatz von OP-Mikroskopen, maschinellen Auf- bereitungsmethoden, der Einführung definierter Spülprotokolle und verbes- serter Obturationsmethoden – nahmen auch die Erfolgsquoten der Behandlun- gen zu. Dennoch gibt es nach wie vor – manchmal für den Zahnarzt uner- klärliche – Misserfolge (Abbildung 1). Neben physikalischen Ursachen wie beispielsweise Wurzellängsfrakturen sind dafür in erster Linie Mikroorganis- men verantwortlich. Mit neuen Analysemethoden und einem neuen Verständnis der bakteriellen Be- siedelung der Wurzelkanäle lassen sich möglicherweise Therapien entwickeln, mit denen sich auch diese „Problem- zähne“ erhalten lassen. Aussagen zur mikrobiellen Besiedelung infizierter Wurzelkanäle und zur Wirksamkeit von neuen Therapieoptionen lassen sich allerdings nur überprüfen, wenn man den wissenschaftlichen Hinter- grund versteht. DIE HAUPTURSACHE FÜR MISSERFOLGE: INFEKTIONEN Bereits vor gut einem halben Jahr- hundert wurden Mikroorganismen als Ursache für die Inflammation (apikale Parodontitis) an der Kontaktstelle zwischen dem infizierten Wurzelkanal und dem umgebenden Gewebe (apikale oder laterale Foramina) nachgewiesen [Kakehashi et al., 1965]. Wurzelkanal- infektionen werden primär durch eine mikrobielle Kolonisation des Wurzel- kanals durch Mikroorganismen ver- ursacht, während eine sekundäre endodontische Infektion nach einer regulären Wurzelkanalbehandlung erfolgt [Siqueira und Rôças, 2009; Kirkevang et al., 2007; Moreno et al., 2013]. Sekundäre endodontische Infektionen können durch die persistierende Kon- tamination mit Mikroorganismen oder durch die Reinfektion aufgrund einer nicht adäquaten Behandlung der Wur- zelkanäle beziehungsweise durch eine nicht suffiziente postendodontische Restauration verursacht werden [Schirrmeister et al., 2007]. Auch wenn eine hundertprozentige Eradikation der Mikroorganismen in den infizierten Wurzelkanälen nicht möglich ist, kann eine starke Reduktion der Infektions- mikrobiota zur Verringerung der Pathogenität der unspezifischen endodontischen Infektion führen. Die Beurteilung der ökologischen Bilanz endodontischer Infektionen setzt die genaue Kenntnis der beteiligten Mikro- organismen voraus. Studien zufolge wurden aus 44 bis 100 Prozent der Wurzelkanäle mit endo- dontischen Behandlungsfehlern und notwendiger Revision der Wurzel- füllungen Mikroorganismen isoliert [Iriboz et al., 2020, Schirrmeister et al., 2009]. Aufgrund der Exposition der Zähne zu einer hohen Diversität oraler Mikroorganismen ist die endodontische Infektion in der Regel unspezifisch, so dass verschiedene Spezies beteiligt sind. Das orale Mikrobiom mit über 700 ver- schiedenen Arten, die den Phyla Actino- bacteria, Bacteroidetes, Chlamydiae, Chloroflexi, Euryarchaeota, Firmicutes, Fusobacteria, Proteobacteria, Spiro- chaetes, SR1, Synergistetes, Tenericutes und TM7 zuzuordnen sind, ist das zweitgrößte humane Mikrobiom nach der Darmflora [Dewhirst et al., 2010; Wade, 2013; Zehnder und Belibsakis, 2015]. Daher ist es plausibel, dass die Kenntnis der mikrobiellen Diversität endodontischer Infektionen für das Verständnis der Wechselwirkung mit dem Immunsystem des Wirts sowie für die Entwicklung neuer Wurzelkanal- Behandlungsmethoden unerlässlich ist [Tzanetakis et al., 2015; Siqueira und Rôças, 2009]. Da das Mikrobiom des Wurzelkanals in Form von Biofilm-ähnlichen Struktu- ren mit einem Anteil an anaeroben Keimen vorliegt [Ricucci und Siqueira, 2010], ist eine vollständige Identifizie- rung der endodontischen Infektions- flora mittels Kulturtechnik nicht mög- lich. In diesem Zusammenhang haben Zehnder und Belibasakis in einem Review über die Dynamik von Wurzel- kanalinfektionen speziell auf die Pro- CME AUF ZM-ONLINE Das Mikrobiom in der Endodontie Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie 2 CME- Punkte der BZÄK/ DGZMK. 64 | ZAHNMEDIZIN

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