Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 110, Nr. 23-24, 1.12.2020, (2308) Bei sekundären Infektionen ist auch das Wurzelkanalfüllungsmaterial bak- teriell kontaminiert. Hier ist klinisch eine extrem sorgfältige Entfernung für einen Behandlungserfolg erforderlich. Will man nun untersuchen, welche Keime in diesen Wurzelkanälen vor- handen sind, muss man auch das Oburationsmaterial analysieren, an dem Bakterien adhärieren [Karygianni et al., 2015]. Nur die Kombination einer adäquaten mikrobiologischen Analyse mit einem gut überdachten Probenentnahmeprotokoll kann die Zusammensetzung des Mikrobioms im Wurzelkanal klären. Eine bestätigte Korrelation zwischen einer spezifischen endodontischen Infektionsflora und einer akuten oder chronischen apikalen Parodontitis kann zur Entwicklung neuer Wurzel- kanal-Behandlungsstrategien führen. Dabei kommt der mikrobiologischen Analyse mittels moderner Techniken, die in zahlreichen medizinischen Fach- disziplinen mittlerweile Standard sind, eine Schlüsselrolle zu. Die Mikrobiom- Analyse könnte somit zu einer per- sonalisierten Therapie speziell bei infizierten Nekrosen und sekundären Wurzelkanalinfektionen beitragen. MIKROBIOM-ANALYSE: NEXT GENERATION SEQUENCING Zu diesen modernen Techniken zählt das „next generation sequencing“ (NGS – Sequenzierung der nächsten Generation). In der Datenbank Pub- Med sind zum Thema „Mikrobiom- analyse oraler Nischen mittels Hoch- durchsatz-Sequenziermethoden“ (NGS) aktuell 244 Arbeiten gelistet. Bei der Reduktion der Suche auf endodon- tische Infektionen bleiben lediglich 20 Studien übrig, die seit der Entwicklung der NGS zur Untersuchung der Mikro- biota endodontischer Infektionen im Zeitraum von zehn Jahren durchge- führt wurden. Dies zeigt, dass mittels NGS bisher nur sehr wenige Unter- suchungen zur Charakterisierung endodontischer Infektionen im Ver- gleich zum supragingivalen und sub- gingivalen oralen Biofilm durchgeführt wurden. Bei den NGS werden variable Regionen des 16S rRNA-Gens, das aus konserva- tiven und neun variablen Regionen (V1–V9) besteht, sequenziert und anhand verschiedener Datenbanken bestimmten bakteriellen Taxa zuge- ordnet. Die Methoden erlauben die parallele Erfassung der Bakterien einer bestimmten Nische. Millionen von Sequenzabschnitten („Reads“) der am- plifizierten variablen Regionen des 16S-rRNA-Gens werden gleichzeitig akquiriert und liegen dann in digitaler Form vor. Sequenzen, die sich zu einem gewissen Prozentsatz ähneln (beispielsweise ab einer Übereinstimmung von 97 Pro- zent), werden über eine ausführliche Datenanalyse einer Spezies-Ebenen- „Operational Taxonomic Unit“ (OTU) zugeteilt [Braxter et al., 2005]. Eine solche OTU wird schließlich einer be- stimmten Gattung oder einer einzelnen Spezies zugeordnet. Da alle Bakterien das 16S rRNA-Gen enthalten, werden durch die NGS auch Bakterien erfasst, die in den infizierten Wurzelkanälen nur selten vorkommen und durch die Kulturtechnik sowie die oben beschriebenen anderen molekular- biologischen Methoden nicht erkannt würden. DIE NGS ERWEIST SICH ALS METHODE DER WAHL Mithilfe der Kulturtechnik und früherer molekularbiogischer Methoden (ins- besondere der Klonierungstechnik) konnten bis zu 20 verschiedene Taxa aus primären beziehungsweise sekun- dären endodontischen Infektionen nachgewiesen werden [Anderson et al., 2013; Siqueira und Rôças, 2009; Manoil et al., 2020]. Ein Vergleich zwischen der Sanger-Sequenzierung nach Anwendung der Klonierungs- technik und der Pyrosequenzierung (NGS) gleicher endodontischer Proben zeigte, dass die NGS hoch signifikant mehr Phyla und Gattungen nach- weisen [Li et al., 2010]. Betrachtet man die Ergebnisse der Mikrobiom-Analysen endodontischer Infektionen mittels NGS, die von Manoil et al. für primäre und sekundäre Infektionen in einem systematischen Review zusammengestellt wurden [Manoil et al., 2020], dann wird er- sichtlich, dass die tatsächliche Diversi- tät in diesen Infektionen bei durch- schnittlich 400 OTUs lag. Diese hohe Zahl verschiedener Taxa gibt sowohl häufige als auch weniger häufige Spezies an. Das ist für die Beurteilung von endodontischen Misserfolgen beziehungsweise für die Entwicklung neuer Therapieverfahren von erheblicher Bedeutung, denn auch weniger häufi- ge Spezies können eine Schlüsselrolle bei endodontischen Infektionen spie- len. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine in geringer Häufig- keit nachgewiesene Art zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt der Infektion eine wichtige Rolle bei der Pathogenität der Wurzelkanal-Mikro- biota spielt. Dies zeigt, dass die Mikro- biom-Analyse endodontischer Infektio- nen mittels NGS die Methode der Wahl ist, um die Ökologie der apikalen Parodontitis zu verstehen. In früheren Studien konnten zwar auch mittels anderer Methoden immer wieder neue Arten aus infizierten Wurzelkanälen isoliert und identifiziert werden [Al-Ahmad et al., 2008; Schirr- meister et al., 2009; Anderson et al, 2012; Tennert et al, 2014; Siqueira und Rôças, 2009), eine Assoziation dieser Arten mit der klinischen Manifestation bleibt jedoch fraglich, da viele andere Arten, die die NGS in den letzten zehn Jahren nachwiesen, unabhängig von der Problematik der Probeentnahme nicht nachweisbar blieben [Manoil et al., 2020]. Im Unterschied dazu ist die Assoziation einer bestimmten Bakterien-Diversität mit symptomatischen oder nicht symptomatischen sekundären endo- dontischen Infektionen, wie dies mit- tels NGS von Anderson et al. [2013] gezeigt wurde, eher als evident zu betrachten. Die Autoren haben zum Beispiel erstmalig neue Phyla (TM7, Deinococcus-Thermus, Cyanobacteria, Chloroflexi, SR1 und OD1) nachgewie- ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 66 | ZAHNMEDIZIN

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