Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (38) INTERVIEW MIT PROF. DR. FERDINAND M. GERLACH „Ich habe die Hoffnung, dass es ein Zusammenrücken gibt“ Als positiver Kollateralschaden der Corona-Krise gilt inzwischen unisono, dass sie die verborgenen Strukturprobleme offengelegt hat. Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, benennt die deutschen Stärken und Schwächen und begründet, warum er für die Zukunft dennoch guter Hoffnung ist – und skeptisch zugleich. Herr Prof. Gerlach, welche Lehren ziehen Sie aus der ersten Welle der Corona-Krise für unser deutsches Gesundheitswesen? Was haben wir gut gemacht, wo hat es gehakt ? Prof. Dr. Ferdinand Gerlach: Persön- lich bin ich froh, die Corona-Krise in Deutschland durchleben zu dürfen. Wir haben im Vergleich zu vielen anderen Ländern viele Dinge richtig gemacht, aber auch schlicht ein wenig Glück gehabt. Geholfen hat uns etwa die flächendeckend und dezentral organisierte ambulante Versorgung, der schnelle Aufbau sehr großer Kapazitäten zur PCR-Testung und eine hervorragend ausgebaute Intensiv- medizin. Nachdem die ersten Bilder aus Wuhan und der überforderten Lombardei kamen, hatten wir zudem noch viele Wochen Zeit, um uns vor- zubereiten. Das war Glück. Es gab und gibt aber auch zahlreiche Probleme: So fehlte initial Schutz- ausrüstung, die vorhandenen Pan- demiepläne erwiesen sich als völlig unzureichend, der Öffentliche Gesund- heitsdienst war ungenügend vorbe- reitet, durchdachte Schutzkonzepte für besonders vulnerable Gruppen – etwa in Pflegeheimen – fehlten. Was muss konkret passieren, damit der ÖGD seine Aufgaben besser wahrnehmen kann – in der Krise, aber auch darüber hinaus? Der ÖGD wurde jahrzehntelang sträf- lich vernachlässigt. Er ist personell, materiell und finanziell ausgeblutet. Das hat sich jetzt in der Krise, in der dem ÖGD eine wichtige Rolle zukommt, gerächt. Dass erst jetzt die Zettelwirtschaft und das Übersenden von Infektionsmeldungen per Fax langsam durch eine elektronische Übermittlungssoftware (DEMIS) ab- gelöst wird und erst 20 Prozent der Gesundheitsämter mit einer Software zur Kontaktnachverfolgung und zum Pandemiemanagement (SORMAS) unterstützt werden, lässt tief blicken. Der ÖGD muss aber nicht nur mate- riell und personell gestärkt werden. Dem ÖGD fehlt auch ein wissenschaft- liches Fundament: Es gibt keine ent- sprechenden Professuren, keine wis- senschaftliche Fachgesellschaft, kaum Forschung und bisher keine Integra- tion in die studentische Ausbildung. Der ÖGD muss daher im Sinne einer evidenzbasierten Public Health auch wissenschaftlich weiterentwickelt so- wie insbesondere mit der hausärzt- lichen Versorgung besser verzahnt werden. Wie beurteilen Sie die Rolle der niedergelassenen Ärzte in der Pandemie – was kann bleiben, was muss besser werden? Die ambulante und insbesondere die hausärztliche Versorgung hat sich während der Corona-Krise als erste Anlaufstelle für (potenziell infizierte) PROF. DR. FERDINAND GERLACH Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach, MPH, ist Direktor des Institut für Allgemeinmedizin an der Goethe- Universität Frankfurt am Main und Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Foto: Stiftung Gesundheitswissen 40 | POLITIK

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