Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2
zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (39) Patientinnen und Patienten bewährt. So konnte – anders als in Ländern beziehungsweise Regionen mit einer krankenhauszentrierten Versorgung wie in Frankreich oder in der Lombar- dei – weitgehend verhindert werden, dass auch bei uns Kliniken, die unter infektiologischen Gesichtspunkten gefährliche Orte sind, zum Ausgangs- punkt von Superspreader-Ereignissen wurden. Besonders wichtig sind daher auch eine abgestimmte Kooperation zwischen der ambulanten praxisärztlichen und der stationären Versorgung sowie die Vernetzung mit dem ÖGD, die zukünf- tig auch in den Pandemieplänen zen- tral berücksichtigt werden muss. Es gibt noch viel zu tun – vor allem beim Schutz und bei der Betreuung vulne- rabler Zielgruppen in Pflegeheimen. Auch sollte das telemedizinische Monitoring von Patienten zu Hause mit digitaler Überwachung der Vital- parameter, etwa via Pulsoxymetrie per Finger-Clip, gezielt etabliert und er- probt werden. Was sollte in der Krankenhaus- planung künftig anders laufen? In der Corona-Krise lassen sich – wie unter einem Brennglas – unsere Struk- turprobleme erkennen. Die Hauptlast der Versorgung tragen die Maximal- versorger. Nur dort gibt es die entspre- chende Ausstattung und Kompetenz, um ein Lungenversagen zu behandeln. Rund 150.000 Betten standen in der ersten Welle leer. Krankenhäuser ohne Beatmungskompetenz oder Computer- tomografie, die zur Erkennung einer Milchglaslunge zwingend erforderlich ist, können gar nicht sinnvoll an der Versorgung von COVID-19-Patienten teilnehmen. Die Pandemie bestätigt die Notwendig- keit einer Reform hin zu mehr Zen- trenbildung, Kooperation und Spezia- lisierung. Die Krankenhausplanung und auch eine Vorhaltekapazitäten be- rücksichtigende Finanzierung dürfen zukünftig nicht mehr auf „Betten“ zielen, sondern auf die Entwicklung einer sektorenübergreifenden, bedarfs-, leistungs- und qualitätsorientierten Versorgungsstruktur. Dabei ist Qualität wichtiger als Nähe. Krankenhäuser der Grundversorgung, die in der Ver- sorgung von COVID-19-Patienten nur eine untergeordnete Rolle spielen, haben dabei eine mittel- bis lang- fristige Perspektive als wohnortnahe, ambulant-stationär integrierte Versor- gungszentren. Und in der Pflege? Auch der Stellenwert der Pflege und der Pflegenden wurde in Deutschland bislang leider sträflich vernachlässigt. Dies gilt für alle Bereiche, etwa die Akutpflege in Krankenhäusern, die Langzeitpflege in Alten- und Pflege- heimen sowie die ambulante Pflege. Applaus von den Balkonen oder eine einmalige Bonuszahlung sind erfreu- lich, reichen aber nicht aus. Die Pflege muss generell weiterentwickelt und nachhaltig gestärkt werden. Es fehlt an attraktiven Aus-, Weiter- und Fort- bildungsangeboten, an einer angemes- senen Bezahlung, an Qualifizierungs- und damit Aufstiegsperspektiven sowie letztlichan einer besseren öffent- lichen beziehungsweise gesellschaft- lichen Wertschätzung. Dazu gehören auch die Vermittlung und Ausübung erweiterter Kompetenzen von Pflegen- den etwa beim Wundmanagement oder bei der Betreuung chronisch Kranker sowie flankierende vertrags-, vergütungs- und haftungsrechtliche Grundlagen. Der Sachverständigenrat hat schon oft die Rückständigkeit des deutschen Gesundheitswesens bei der Digitalisierung kritisiert. Sind wir durch die Pandemie jetzt auf dem richtigen Weg? Verschiedene internationale Rankings zur Digitalisierung im Gesundheits- wesen zeigen uns in der Tat immer im Tabellenkeller. Das rächt sich jetzt in der Krise. Es ist ja bemerkenswert, dass bei uns erst die Deutsche Inter- disziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), also eine Fachgesellschaft, die Initiative ergreifen musste, um ein Register der Intensiv- betten und Beatmungsplätze zu etablieren. Diese sehr sinnvolle und absolut notwendige Maßnahme wurde erst unter dem Druck der Krise ver- pflichtend gemacht. Erst das DIVI-Intensivregister hat uns gezeigt, dass wir in der ersten Welle zu keinem Zeitpunkt auch nur in der Nähe einer Auslastung waren. Heute wissen wir, dass drastische Maßnahmen, wie die Absage aller Routineeingriffe und das großflächige Freihalten von Betten, unnötig waren. Ähnliches gilt für die ab 2021 vor- gesehene elektronische Patientenakte mit Medikationsplan, Impfpass oder eine Datenbank mit Röntgenbildern, CTs und MRTs. Wir könnten Patienten schon jetzt besser versorgen und viel schneller und mehr über COVID-19 lernen. Wir sollten den Digitalisie- rungsschub jetzt bestmöglich nutzen, denn auch die Corona-Krise zeigt: Daten teilen, heißt besser heilen! Ist die Pandemie ein Booster für Reformen? Welche konkreten langfristigen Perspektiven sehen Sie? In einigen Bereichen, etwa der Digita- lisierung, die einen erheblichen Schub bekommen hat, sind langfristige Auswirkungen durch die dauerhafte Etablierung digitaler Abläufe sehr wahrscheinlich. In anderen Bereichen, etwa der Überwindung der Sektoren- grenzen, befürchte ich, dass wieder alle in ihre sektoralen Schützengräben steigen und von dort aus die Stärkung des jeweils eigenen Sektors fordern werden. Ich hoffe dennoch, dass die Krise dazu beiträgt, dass man besser er- kennt, wie sehr man aufeinander ange- wiesen ist. Ich habe die Hoffnung, dass es ein Zusammenrücken gibt – aber angesichts der bisherigen Erfahrungen auch eine gewisse Skepsis, ob das gelingt. Das Gespräch führte Gabriele Prchala. POLITIK | 41
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