Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2
zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (45) Sequenzen kommen nur in wenigen Proben vor. Diese seltenen Sequenzen können oft schlecht von Sequenzier- fehlern unterschieden werden. Häufig müssen hunderte einzigartiger Sequen- zen in einer Probe ausgewertet werden, die in ihrer Gesamtheit das Mikrobiom dieser Probe darstellen. Die Auswer- tung und die Interpretation der Daten stellen somit eine besondere Heraus- forderung und eine Art „Flaschenhals“ bei der Auswertung der NGS-Analysen dar [Knight et al., 2018]. INTERPRETATION VON NGS-DATEN Bei den klassischen mikrobiologischen und molekularbiologischen Nachweis- verfahren wurde meist eine qualitative und im besten Fall eine quantitative Information zum Nachweis einzelner Bakterien in der Patientenprobe ausge- geben. So scheinbar greifbar und sinn- voll diese qualitativen und quantitati- ven Parameter sein mögen, geben sie jedoch keine Information, welche Rolle oder welchen Anteil an der Bakterien- flora die jeweiligen Bakterien in der untersuchten Mundhöhle haben. So sind in den ökologischen Wissen- schaften beispielsweise Feststellungen, ob oder wie viele Wölfe in einemWald leben, nur wenig aussagekräftig. Die Frage, ob diese für den Menschen Schaden oder Nutzen bringen, kann nur geklärt werden, wenn untersucht wird, in welcher Gemeinschaft und in welchem Verhältnis diese mit anderen Tier- und Pflanzenarten leben. Analog verhält es sich mit der mikrobiologi- schen Besiedlung der Mundhöhle, das heißt dem oralen Mikrobiom. So können die Ansätze der ökologischen Wissen- schaften auch für die Auswertung von NGS-Analysen oraler Plaqueproben ge- nutzt werden. Deshalb sollten nicht mehr nur einzelne Bakterien, sondern das gesamte Ökosystem Mundhöhle betrachtet und ausgewertet werden. So ist es nicht verwunderlich, dass bei der Interpretation von NGS-Daten Parameter verwendet werden, die man zunächst eher in der Ökologie ver- muten würde. Die sogenannte Alpha- Diversität beschreibt den Zustand eines ökologischen Systems, hier also des Mikrobioms innerhalb eines Patienten. Hierzu gehören die sogenannte „Rich- ness“ und die „Evenness“ (Abbildung 5). Unter dem Begriff „Richness“, auch Artenvielfalt genannt, kann die Anzahl der verschiedenen Bakterien (Gattun- gen oder Spezies) innerhalb einer Probe verstanden werden, wohingegen die „Evenness“ die relative Häufigkeit, das heißt die Äquitabilität im Sinne der Gleichverteilung der Arten in einem Lebensraum, beschreibt. Allein die Be- rücksichtigung dieser beiden Parameter ermöglicht viel weitergehende Inter- pretationen bezüglich der parodonta- len Gesundheit oder Erkrankung als die oben genannten klassischen quan- titativen/qualitativen Untersuchungen von wenigen „Markerbakterien“. Die sogenannte Beta-Diversität beschreibt den Unterschied in der Artenvielfalt der in einem bestimmten Lebensraum – beispielsweise dem Ökosystem Mundhöhle – entnommenen Bakte- rienproben (Abbildung 5). Hier werden Distanzmatrizen der Unterschiede aller gefundenen Bakterien zueinander ge- bildet (zum Beispiel Bray-Curtis Dissi- milarity). Dies erlaubt Abweichungen in der Mikrobiomzusammensetzung mit einer Indexzahl zu beschreiben und vereinfacht die Interpretation der Ergebnisse [Magurran, 2003]. Abb. 5: Schematische Grafik der Diversitätsindizes vor (rot) und nach einer Intervention, beispielsweise einer Parodontitisbehandlung (grün): Die Richness/Artenvielfalt und die Evenness/Äquitabilität beschreiben Veränderungen innerhalb der Mikrobiome. Solche Mikrobiomindizes gehören zur Alpha-Diversität. Die Dissimilarity/Unähnlichkeit beschreibt die Zusammenhänge zwischen den Mikrobiomen. Dieser Mikrobiomindex gehört zur Beta-Diversität. Quelle: Daniel Hagenfeld Diversitätsindizes vor und nach einer Intervention ZAHNMEDIZIN | 47
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