Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2
zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (74) I n den 1980er-Jahren war die Karies- rate bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland erschreckend hoch. Gegenaktionen beschränkten sich auf Appelle zum Zuckerverzicht und den Bau aufwendiger Zahnputzbrunnen in manchen Schulen. Die Schweiz hatte 30 Jahre vorher angesichts einer noch höheren Kariesprävalenz die Kollektiv- prophylaxe als wirksamstes Instrument erkannt und Thomas Marthaler, damals noch Assistent des großen Mühlemann am zahnärztlichen Institut der Univer- sität Zürich, war der Initiator, der kon- sequent die systematische Schulzahn- pflege und seit 1955 die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz in jedem Haushalt vorantrieb. Als „unermüdlicher Schaffer“ war er dazu nicht nur in den Schweizer Kantonen unterwegs, sondern in der ganzen Welt – natürlich und immer wieder in den USA, wo er seine erste Motivation in Boston an der Forsyth Kinder-Zahnklinik gewonnen hatte. Später dann als Motivator und Fluorid- experte in unzähligen Ländern rund um den Globus. In Deutschland waren Versuche, fluo- ridiertes Speisesalz zuzulassen, mehr- fach gescheitert. Die etablierte Zahn- ärzteschaft fürchtete Einbußen, die Hochschule hielt sich bedeckt. Ein Gutachten von Marthaler schien mir 1990 die einzige Chance, unsere Re- gierung anhand der Schweizer Erfolge – bereits 1985 betrug die Reduktion der Zahnschäden dort über 50 Prozent – von der Wirksamkeit und Unbedenk- lichkeit der Salzfluoridierung zu über- zeugen. Im Flugzeug nach Zürich fragte mich Friedrich Räuchle, Geschäftsführer der Reichenhaller Saline und mein Partner in dieser Mission, was denn so ein Gutachten kosten würde, und ich sagte ihm, mit circa 20.000 DM müsse er schon rechnen – er schluckte. Und dann saßen wir im zahnärztlichen Institut in der Plattenstraße vor dem Professor, der mich und erst recht Räuchle in seiner verhaltenen Art etwas verunsicherte. Schließlich er- klärte er sich bereit, die gutachterliche Stellungnahme zu erarbeiten. Auf Räuchles Frage nach den Kosten machte Marthaler wieder eine viel zu lange Pause und sagte: „Mir händ es Büechli.“ Wie bitte? „Mir händ es Büechli.“ Auch ich verstand nicht, dass damit eine Spende für das Spar- buch der Instituts-Abteilung gemeint war. Räuchle erzählte später, es seien 2.000 DM gewesen, die das Büechli er- wartet habe. Persönlich sah Marthaler, wie er mir später erzählte, sein Gut- achten als Geschenk an unseren Deutschen Arbeitskreis für Zahnheil- kunde (DAZ), dessen Bemühungen um systemische Kariesprophylaxe er seit ein paar Jahren verfolgt hatte. Das war 1990. Ein weiteres Jahr ver- ging mit der Überwindung weiterer Hindernisse, bis die vorläufige Zu- lassung 1991 erteilt wurde – sie be- steht nach fast 30 Jahren noch immer vorläufig. Ungeachtet dessen ist das Fluoridsalz inzwischen zu einem festen Baustein der erfolgreichen Kariesprophylaxe in Deutschland geworden. Marthaler saß danach 15 Jahre lang mit uns am Tisch des wissenschaft- lichen Beirats der Informationsstelle für Kariesprophylaxe IfS des DAZ. Mit seinen jahrzehntelangen Erfahrungen – der Erarbeitung der wissenschaft- lichen Grundlagen der Wirkungsweise von fluoridiertem Speisesalz – und, zusammen mit seinem Kollegen Prof. Klaus König, der des Amin-Fluorids für Zahnpasten und Gelees, mit seiner Schatztruhe von etwa 300 Publikatio- nen und seiner Tätigkeit in vielen internationalen Fachorganisationen war seine Kompetenz für uns ein Geschenk. ZUM TOD VON PROF. DR. THOMAS MARTHALER Mir händ es Büechli Am 13. November verstarb der Schweizer Oral-Epidemiologe Prof. Dr. Thomas Marthaler. Sein Name ist in der Schweiz – wie der seines Mentors Prof. Dr. Hans Mühlemann – untrennbar mit den Erfolgen der Kariesprävention durch Fluoridanwendungen verbunden. Auch in Deutschland hat er den letztlich entscheidenden Impuls zur Einführung von fluoridiertem Speisesalz gegeben. Ein Nachruf. Foto: Privatarchiv Familie Marthaler Prof. Thomas Marthaler an seinem 80. Geburtstag 76 | GESELLSCHAFT
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