Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 3
zm 111, Nr. 3, 1.2.2021, (165) „Am 03.04.1935 schied ich als Assis- tentin aus der zahnärztlichen Univer- sität aus, um männlichen Kollegen Platz zu machen“. 21 Schon bald zeigte sich, „dass die Führung einer Praxis für sie keine Arbeitsform war“, auch weil sie „die wirtschaftliche Seite der Praxis nicht gut in den Vordergrund stellen“ konnte. 22 Auch die nach dem Zweiten Welt- krieg erreichte Position der Klinik- leiterin musste Schug-Kösters 1947 wieder abtreten: Nachdem Kranz „er- folgreich“ entnazifiziert war, erhob dieser erneut den Anspruch auf das Direktorat. So rückte Schug-Kösters zurück ins zweite Glied. Eine ähnliche Erfahrung machte die Münchner Kol- legin und Zoologin Ruth Beutler (1897–1959), die nach dem Krieg als kommissarische Leiterin das dortige Zoologische Institut wiederaufbaute, um anschließend dem zurück- kehrenden Karl Ritter von Frisch (1886–1982) Platz zu machen. 23 Bei- des sind prägnante Beispiele für den unterschiedlichen Status männlicher und weiblicher Professoren. In der Folge blieb Schug-Kösters ver- antwortlich für die konservierende Abteilung der Klinik und widmete sich wieder verstärkt ihren Studien, namentlich der Endodontie, der Kavitätenpräparation und Füllungs- therapie und den verstärkt auf- kommenden keramischen Arbeiten. Sie sorgte für die „Errichtung eines keramischen Labors“ 24 und etablierte mit dem Buch „Die Behandlung der Pulpa und des apikalen Paro- dontium“ ab 1959 ein erfolgreiches Standardwerk. Es erschien bis 1981 in insgesamt fünf Auflagen. 25 Große Beachtung fand auch das Werk „Karies und Füllungsmethoden“, das 1964 und – in einer weiteren Auflage – 1971 publiziert wurde; 26 besagtes Buch fußte auf ihrer ersten Mono- grafie „Lehrbuch der Kavitätenpräpa- ration“ (1951), 27 sodass man eigent- lich auch von einem Werk sprechen kann, das in unterschiedlichen Auf- lagen in den Jahren 1951 bis 1971 verlegt wurde. Das Lehrbuch wurde sogar ins Italienische und Spanische übersetzt. 28 Neben den genannten Schwerpunkt- themen befasste sich Schug-Kösters auch mit der Abdrucknahme, der Kariologie, der Parodontologie, der oralen Pathohistologie, den Herd- erkrankungen, den Zahnfrakturen und Subluxationen, der Milchzahn- behandlung und der Dampfsterilisa- tion. Insgesamt publizierte sie rund 70 Arbeiten. 29 IHRER ZEIT WAR SIE UM JAHRE VORAUS Werner Ketterl (1925–2010), der be- kannteste Schüler Schug-Kösters‘, be- tonte 1975 in einem Nachruf, dass diese „ihrer Zeit meist um Jahre vor- aus“ gewesen sei: „1950 hat sie das Efficiency-Prinzip gelehrt – heute sind die daraus entstandenen ergono- mischen Vorstellungen im zahnärzt- lichen Bereich aus unserer Tätigkeit nicht mehr wegzudenken. Die Ein- führung aseptischer Kautelen im Rah- men der Endodontie, die direkte und indirekte Überkappung, die Vital- amputation und die Vitalexstirpation wurden von ihr zehn Jahre vor Ein- führung des neuen Bema den Studen- ten gelehrt und im Kurs praktiziert. Bereits 1955 begann unter ihrer Lei- tung die spezielle Ausbildung der Stu- denten in der Parodontologie [...] ein Stand, der heute noch nicht an allen deutschen Universitäten unseres Fa- ches erreicht ist“. 30 Ziel des erwähn- ten Efficiency-Prinzips war es, „mit dem geringstmöglichem Aufwand an Zeit, Kraft und Instrumenten den bestmöglichen Erfolg zu erreichen“. 31 Auch Erwin Reichenbach (1897– 1973) 32 würdigte Schug-Kösters: „Die Erfolge betreffen den Unterricht und auch die wissenschaftliche Tätigkeit. So wurden 1949 die Wurzelbehand- lung unter aseptischen Kautelen ein- geführt [...] und seit 1958 die syste- matische Behandlung der Parodonto- pathien auf breiter Basis in Angriff genommen.“ 33 FALSCHAUSSAGEN SOLLTEN SIE DISKREDITIEREN Obwohl Maria Schug-Kösters somit in der Nachkriegszeit zu erheblicher fachlicher Bedeutung gelangt war, fiel die Klinikleitung nach der Emeritie- rung von Kranz (1953) nicht an sie zurück, sondern ging an den aus Greifswald berufenen Josef Heiß – eine Personalentscheidung, die für Schug-Kösters schwerwiegende Fol- gen haben sollte: Aus den Quellen er- gibt sich, dass diese bei dem formal übergeordneten Heiß einen zuneh- mend schweren Stand hatte. Mit Be- ginn der 1960er-Jahre häuften sich die „öffentlichen Beleidigungen“ und „Falschaussagen“ von Heiß gegen- über Schug-Kösters. Dass die (zum Teil irritierend derben) Angriffe von Heiß das Ziel verfolgten, die Kollegin zu diskreditieren, ist den überliefer- ten Zitaten zu entnehmen. Demnach äußerte Heiß zum Beispiel: „Wenn ich eine solche Silikat-Zementfüllung mit überstehendem Rand sehe, muss ich immer an die Kösters denken.“ Und an anderer Stelle (unter Bezug- nahme auf einen desorientierten, schwerhörigen Patienten und auf den Umstand, dass die Abteilung von Schug-Kösters im zweiten Stock der Klinik angesiedelt war): „Ach lassen Se ihn doch stehen, der ist ja blöd, der wäre der Richtige für den II. Stock!“ 34 21 UA LMU München, E-II-3078; 22 Beck (2009), 15; 23 Beck (2009), 27f.; 24 Heiß (1960), 509; 25 Schug-Kösters (1959); 26 Schug-Kösters (1964); 27 Schug-Kösters (1951); 28 Reichenbach (1965), 176; 29 Beck (2009), 99–103 (Publikationsverzeichnis); 30 Ketterl (1975), 976; 31 Schug-Kösters (1962), 177; Beck (2009), 40; 32 Groß (2020c); 33 Reichenbach (1965), 176; 34 BHStA MK 69612, Nr. 59197; Beck (2009), 49f. PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat GESELLSCHAFT | 47
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