Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (242) INTERVIEW MIT PROF. WOLF-DIETER LUDWIG ZUR CORONA-PANDEMIE „Wir müssen darüber reden, was die aktuellen Impfstoffe leisten können“ Die Fülle täglicher Nachrichten lässt nicht selten wichtige Fragen rund um die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Impfungen, Medikamente und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in den Hintergrund treten. Was können die aktuellen Impfstoffe leisten? Was wissen wir über sterile Immunität? Welche Arzneimittel stehen zur medikamentösen Therapie von COVID-19 zur Verfügung? Die zm haben mit Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arznei- mittelkommission der deutschen Ärzteschaft, über diese Fragen gesprochen. Die in Europa zugelassenen Impf- stoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna sind in außergewöhnlich kurzer Zeit entwickelt worden. Gab es das in der Geschichte überhaupt schon einmal? Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig : Alle Übersichtsbeiträge, die sich mit der Entwicklung von Impfstoffen be- schäftigen, weisen darauf hin, dass eine Impfstoffentwicklung normaler- weise zehn bis 15 Jahre beansprucht. In dieser kurzen Zeit ist noch nie ein Impfstoff entwickelt worden. Das hohe Tempo heute hat natürlich etwas mit dem gewaltigen Druck zu tun, den die Pandemie auf unser gesellschaftliches Leben ausübt. Es wurde ja bereits vor der Pandemie rund zwei Jahrzehnte an mRNA-Impfstoffen geforscht … Ja natürlich, da gab es bereits wis- senschaftliche Untersuchungen und Technologien, die man für die Ent- wicklung der mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 nutzen konnte. Es gab auch schon frühe Phasen der kli- nischen Prüfungen bei diesen Impf- stoffen – vorwiegend Phase-1-, ver- einzelt auch Phase-2-Prüfungen gegen unterschiedliche Viruserkrankungen wie Zytomegalie, Tollwut und Influ- enza. Nach diesen Prüfungen hatte allerdings noch kein mRNA-Impfstoff eine Zulassung erhalten. Woran lag es denn, dass die Entwicklungsarbeiten abgebrochen wurden? Exakt kann ich diese Frage leider nicht beantworten. Ich vermute, dass Wirksamkeit oder Sicherheit nicht den Ansprüchen an eine Zulassung genügten beziehungsweise erst durch die Lipid-Nanopartikel, die jetzt für die Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 ver- wendet werden, eine ausreichende Stabilität der Impfstoffe erreicht wer- den konnte. Bislang sind zwei mRNA-Impfstoffe in Europa zugelassen worden. Sie haben verschiedentlich erwähnt, dass die durch die Hersteller vor- gelegten klinischen Daten viele Fragen unbeantwortet lassen. Wie sieht es mit der Qualität des Studiendesigns aus? Ein großes Problem der Studien so- wohl bei BioNTech/Pfizer als auch bei Moderna war, dass man bei den Probanden vor der Impfintervention nicht zweifelsfrei festgestellt hat, ob sie bereits vorab einmal mit SARS- CoV-2 infiziert waren. Und man hat auch nach der Intervention [Impfung oder Placebo – Anm. d. Red.] nicht systematisch mit PCR-Tests geprüft, ob trotz Impfung asymptomatische Infektionen auftraten. Ein PCR-Test wurde nur bei denjenigen Probanden durchgeführt, die Erkrankungs- symptome nach der FDA-Definition – zum Beispiel Fieber, Husten, Atemnot, Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns – entwickelten. Als COVID-19-Fall wurde gewertet, wer Symptome entwickelte und vier Tage zuvor beziehungsweise vier Tage danach einen positiven PCR-Test in einer Probe aus dem Atemwegstrakt aufwies. Deshalb können wir heute aus den Studiendaten nicht erkennen, ob die Impfung nur vor der symp- tomatisch verlaufenden Erkrankung PROF. DR. WOLF- DIETER LUDWIG ... ist Vorsitzender der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzteschaft. Von 2001 bis 2017 war er Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Tumorimmunologie und Palliativmedizin im HELIOS Klinikum Berlin-Buch. Ludwig ist Mitherausgeber des unabhängigen Informationsblatts „Der Arzneimittelbrief“ und Fachredakteur für das Gebiet „Hämatologie/Arzneimitteltherapie“ der medizinisch-wissenschaftlichen Redaktion des Deutschen Ärzteblatts. Seit 2013 ist er als Vertreter der Europäischen Ärzte- schaft (CPME) Mitglied des Management Board der Europäischen Arzneimittel- Agentur (EMA). Foto: Oberländer-AkdÄ 12 | MEDIZIN

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