Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (243) COVID-19 schützt oder auch eine sterile Immunität erzeugt – Geimpfte also selbst nicht mehr infektiös sein können. Warum hat man bei den Probanden eigentlich nicht regelmäßige PCR- Tests durchgeführt? Das hätte doch Klarheit schaffen können. Am Geld kann es ja bei der üppigen staatlichen Forschungsförderung nicht gelegen haben. Dies hätte natürlich einen großen logistischen Aufwand bedeutet, bei- spielsweise bei mehr als 40.000 Pro- banden in der BioNTech/Pfizer-Studie regelmäßige PCR-Tests zu organisie- ren. Die Antwort auf die Frage, ob Geimpfte sich infizieren und das Virus weitergeben können, ist jedoch eine zentral wichtige Information, um das Potenzial der beiden Impf- stoffe korrekt bewerten zu können hinsichtlich des Erreichens einer ste- rilen Immunität und vor allem der Herdenimmunität als entscheidende Voraussetzung der Eindämmung beziehungsweise Beendigung der Pandemie. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die in der Studie verwendeten FDA-Krite- rien zur Erkennung von COVID-19 den beobachteten Nebenwirkungen der Impfung ähneln. Das heißt, Pro- banden aus der Impfstoffgruppe könnten Symptome wie beispiels- weise Fieber, Muskelschmerzen, Müdigkeit seltener als COVID-19- Symptome gemeldet haben, weil sie diese fälschlicherweise für Neben- wirkungen der Impfung hielten. Diese Vermutung hat unter anderem Peter Doshi, Mitherausgeber des British Medical Journal, geäußert. Für diese Vermutung spricht möglicherweise auch, dass die Probanden der Impf- stoffgruppe häufiger fiebersenkende Mittel eingenommen haben. Doshi hat auch darauf hingewiesen, dass es in der BioNTech/Pfizer- Studie insgesamt 3.410 vermutete, aber unbestätigte an COVID-19 erkrankte Probanden gegeben hat: 1.594 in der Impf- und 1.816 in der Placebogruppe. Diese Unschärfen in der Identifikation von COVID-19-Fällen sind sicher ein Schwachpunkt des Studiendesigns. Auch hier hätten häufigere PCR-Tests aller Probanden zu mehr Klarheit führen können. Das ist besonders ärgerlich, weil am Ende die Wirk- samkeit des Impfstoffs anhand von lediglich 170 festgestellten COVID- 19-Fällen aus einem Pool von etwas weniger als 40.000 Probanden be- rechnet wurde: Acht Erkrankungen waren in der Testgruppe, 162 in der Kontrollgruppe identifiziert worden – das ergab eine relative Wirksamkeit von 95,3 Prozent. Wenn es allerdings zutrifft, was Peter Doshi sagt, dass man nämlich die vermuteten Fälle gar nicht mit PCR-Tests untersucht hat, dann kann es sein, dass die rela- tive Wirksamkeit falsch hoch ist. Was lässt sich zu den kurzfristigen Nebenwirkungen sagen? Die Reaktogenität, das ist der Ober- begriff für Nebenwirkungen bei Imp- fungen, ist deutlich höher als bei vielen anderen Impfungen, aber sie ist nicht ungewöhnlich hoch. Den- noch sind die akut oder kurzfristig auftretenden Nebenwirkungen teils erheblich. Während Fieber mit etwa 10 bis 17 Prozent nach der zweiten Impfung noch recht moderat auftrat, waren Fatigue, Kopfschmerz, Frös- teln/Schüttelfrost, Myalgie mit Antei- len von 20 Prozent bis zu 50 Prozent vertreten. Gravierende akute Neben- wirkungen hat man aber bislang kaum gesehen. Aus Norwegen sind 23 Todesfälle von sehr gebrechlichen Menschen mitgeteilt worden, die dort für erhebliche Unruhe gesorgt und zu einer Anpassung der Impf- indikationen geführt haben. Bei sehr gebrechlichen Menschen sollte daher vor der Impfung unbedingt eine Risiko-Nutzen-Abwägung getroffen werden. Wie sieht es mit langfristigen Nebenwirkungen aus? Natürlich können wir über eine Lang- zeittoxizität bislang nichts sagen. Ver- treter des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) – der Behörde in Deutschland, die für Impfstoffe zuständig ist – wider- sprechen Aussagen hinsichtlich po- tenzieller Langzeitnebenwirkungen (zum Beispiel Autoimmunerkrankun- gen). Sie sagen, es gebe gar keinen Grund, warum man solche Neben- wirkungen fürchten muss. Es gibt an- dere, vom PEI unabhängige Wissen- schaftler, die es etwas anders sehen. Die mRNA-Impfstoffe enthalten soge- nannte Lipid-Nanopartikel, die im Körper abgebaut werden müssen. In tierexperimentellen Studien mit einer allerdings deutlich höheren Dosis des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs hat sich gezeigt, dass diese Nanopartikel Entzündungen im Körper auslösen können, deren Folgen man natürlich nicht im Rahmen einer kurzen Nach- beobachtung sieht, sondern erst nach längeren Zeiträumen. Man kann auch nicht ausschließen, dass die durch den Impfstoff gebil- deten Antikörper gegen das Fremd- protein des Virus sich nicht eines Tages gegen körpereigene Strukturen richten und deshalb sind Auto- immunerkrankungen erst nach einer längeren Beobachtungsdauer zu er- warten. Darum ist es sehr wichtig, jetzt im Rahmen der Pharmako- vigilanz sowohl bei den Probanden der klinischen Studien als auch bei den im Rahmen der angelaufenen Impfkampagne geimpften Personen die Nebenwirkungen sehr sorgfältig zu registrieren und zu dokumentieren. Das PEI hat hierfür die Smartphone- App „SafeVac“ entwickelt, mit der Geimpfte in sogenannten Kohorten- studien Nebenwirkungen einfach übermitteln können. Ein Wort zu Schwangeren: Sie waren in beiden Studien ausgeschlossen … Tierexperimentelle Studien hatten zwar keine schädlichen Wirkungen gezeigt, aber eindeutige Erkenntnisse über eine etwaige Reproduktions- toxizität beim Menschen gibt es nicht. Deshalb waren Schwangere in den Studien grundsätzlich ausge- schlossen. Aufgrund der fehlenden Daten rät die Ständige Impfkommission (STIKO) Schwangeren derzeit von einer Imp- fung ab, es sei denn, sie haben im Sinne einer Risiko-Nutzen-Abwägung „Es ist wichtig, jetzt die Nebenwirkungen sehr sorgfältig zu registrieren und zu dokumentieren.“ Prof. Wolf-Dieter Ludwig MEDIZIN | 13

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