Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (244) Begleiterkrankungen, die sie für einen schweren Verlauf von COVID-19 prädestinieren. Konsequenterweise müsste man dann vor der Impfung einen Schwangerschaftstest empfehlen. In der BioNTech/Pfizer-Studie wurden gebärfähige Frauen obligat vor beiden Impfungen auf Schwangerschaft getestet. Selbst die männlichen Probanden wurden zu strenger Verhütung angehalten. Im Moment werden ja überwiegend Senioren geimpft, bei denen eine Schwangerschaft ausgeschlossen ist. Den jüngeren Beschäftigten im Ge- sundheitswesen – unter ihnen natür- lich viele Frauen – müssen wir heute unbedingt erklären: Es existieren derzeit keine Daten aus klinischen Studien, die Aufschluss darüber geben könnten, ob die Impfung die Schwangerschaft beeinträchtigt oder es andere Nebenwirkungen gibt. Die STIKO empfiehlt im Übrigen nichtsdestotrotz geimpften Frauen, bei denen sich in engem zeitlichen Zusammenhang eine Schwangerschaft zeigt, keinen Schwangerschaftsabbruch. Sie haben eine detaillierte ärztliche Impfaufklärung jedes einzelnen Patienten gefordert. Dort soll klar gesagt werden, was wir heute zum Impfstoff wissen und was nicht. Die Patientenaufklärung ist fester Bestandteil einer ärztlichen Behand- lung, also auch einer Impfung. Dazu reichen Videos oder Merkblätter definitiv nicht aus; die gesetzlichen Vorschriften verlangen eine persön- liche und individuelle Aufklärung – dieser Anspruch scheint mir bei den Impfzentren nur schwer einlösbar zu sein. Wenn kommende Impfstoffe nicht mehr so komplizierte Lager- bedingungen wie beispielsweise Tief- kühlschränke benötigen, würde ich es sehr begrüßen, wenn auch Haus- ärzte impfen könnten, weil hier aus der Kenntnis ihres Patienten und der medizinischen Vorgeschichte eine in- dividuelle Nutzen-Risiko-Abwägung getroffen werden kann. Ein anderes Thema ist die sterile Immunität. Von mir vorab befragte Experten aus der Zahnmedizin zeigen sich wenig optimistisch, dass sich die Virusreplikation in Mund- und Rachenschleimhäuten durch eine systemisch wirkende Impfung verhindern ließe. Da haben ihre Experten vermutlich recht. Es werden unterschiedliche neutralisierende Antikörper im Rah- men von SARS-CoV-2-Infektionen ge- bildet: IgG-, IgA- und IgM-Antikörper. Durch die Impfung werden in erster Linie neutralisierende IgG-Antikörper gebildet, die gegen das Spike-Protein des Virus gerichtet sind. IgA wird vermutlich deutlich weniger gebildet. Diese IgA-Antikörper vermitteln aber ganz wesentlich den Schutz vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 an den Oberflächen der Schleimhäute im Mund-, Nasen- und Rachenraum. Wir wissen derzeit noch relativ wenig zur Bildung von IgA-Antikörpern nach der Impfung gegen SARS-CoV-2. Man hat in den klinischen Studien vor allem die Titer für IgG-Antikörper gemessen, die deutlich über den Konzentrationen des IgG in Seren von rekonvaleszenten Personen nach COVID-19 lagen. Außerdem konnten gegen das Spike-Protein gerichtete spezifische T-Lymphozyten mit einem hohen Anteil an Interferon-gamma produzierenden Zellen, also neben humoraler auch zelluläre Immun- antwort, nachgewiesen werden. Welche Medikamente werden denn eingesetzt? Gibt es Hoffnungen auf neue Therapien? Im ersten Halbjahr 2020 wurden viele Medikamente, die bereits für andere Indikationen zugelassen waren, auch in der Behandlung von COVID-19 getestet. Dabei handelt es sich um die sogenannten „Repurposed Drugs“ – unter anderem Chloroquin-haltige Medikamente, die zur Behandlung von HIV-1 eingesetzte Kombination von Lopinavir und Ritonavir sowie Glukokortikosteroide wie zum Bei- spiel Dexamethason. In klinischen Prüfungen haben die meisten dieser Kandidaten bis auf Dexamethason leider enttäuscht. Auch für das Medi- kament Remdesivir, das initial als großer Hoffnungsträger gesehen und sowohl von der FDA als auch von der EMA beschleunigt zugelassen wurde, gibt es inzwischen klinische Studien und evidenzbasierte Leitlinien, die keinen überzeugenden klinischen Nutzen sehen und deshalb – wie auch eine WHO-Empfehlung – eine Behand- lung mit Remdesivir für Patienten mit COVID-19 nicht empfehlen. Hoffnungsträger sind derzeit Rekon- valeszentenseren, in denen sich Anti- körper von Menschen befinden, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht haben sowie mono- klonale Antikörper, die den Anti- körpern von Patienten ähneln, die COVID-19 überlebt haben, und eben- falls gegen das Spike-Protein gerichtet sind. Ziel der Therapie mit Rekon- valeszentenseren oder monoklonalen Antikörpern ist es, Risikopatienten nach SARS-CoV-2-Infektion bezie- hungsweise in der Frühphase von COVID-19 rasch zu behandeln, um dadurch schwere Verläufe zu verhin- dern. Das Bundesgesundheitsministe- rium hat gerade 200.000 Dosen zu etwa 2.000 Euro pro Dosis eingekauft. Aus meiner Sicht war dies eine vor- schnelle Entscheidung, für die über- zeugende Ergebnisse zur Wirksamkeit der Antikörper aus klinischen Studien bisher fehlen. Die Impfstoffe gelten als das Licht am Ende des Tunnels. Auf den Forschern, Herstellern, Politikern lastet ein ungeheurer Erfolgsdruck. Wäre es nicht klug, seitens der Wissenschaft die Erwartungen etwas zu dämpfen und vielmehr zu signalisieren, dass wir durchaus in die Lage kommen können, noch längere Zeit mit dem Virus leben zu müssen? Dafür plädiere ich, seit ich Interviews zu diesem Thema gebe. Wir haben momentan eine völlig unzureichende Kommunikation in der Öffentlichkeit über das, was die Impfstoffe kurz- und mittelfristig leisten können. Wir beklagen ständig, dass wir derzeit zu wenig Impfstoffe bekommen, aber wir thematisieren aus meiner Sicht zu wenig, was wir von den jetzt zugelas- „Videos oder Merkblätter reichen zur Patienten- aufklärung definitiv nicht aus.“ Prof. Wolf-Dieter Ludwig 14 | MEDIZIN

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