Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4
zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (266) DIE KLINISCH-ETHISCHE FALLDISKUSSION Sie will sich nicht impfen lassen – darf er sie entlassen? Dr. B. betreibt in einer mittelgroßen Stadt eine allgemeinzahnärztliche Praxis. Die Inzidenzzahlen des übergeordneten Landkreises liegen seit Monaten knapp unter 300. Bei einem nicht unerheblichen Anteil der Patienten von B. handelt es sich um Senioren aus einem nahe seiner Praxis gelegenen Komplex für betreutes Wohnen sowie dem dazugehörigen Alten- und Pflegeheim. Darf er seine Mitarbeiterinnen zum Impfen verpflichten? F ür B. nimmt der Schutz der ihm anvertrauten Menschen, die viel- fach zur Gruppe der Hochrisiko- patienten zählen, einen hohen Stel- lenwert ein. Er ist überzeugt, dass eine Impfung gegen das Coronavirus nicht nur den Ausbruch der Krank- heit, sondern auch die Übertragung auf andere verhindert. B. will mit gutem Beispiel voran- gehen und sich sobald wie möglich impfen lassen. Bei Gesprächen mit seinen Mitarbeitern stellt er aller- dings fest, dass ein Teil ihm nicht folgen will. Mehrere Überzeugungs- versuche ändern nichts an deren Ein- stellung. B. teilt allen Angestellten daraufhin mit, dass er zukünftig nicht geimpfte Mitarbeiter nur noch mit rein administrativen Aufgaben ohne jeglichen Patientenkontakt be- trauen wird und sich möglicherweise in letzter Konsequenz von ihnen wird trennen müssen, da sie nach seiner Auffassung ohne Impfung ihren eigentlichen beruflichen Tätigkeiten nicht dauerhaft verantwortungs- bewusst nachkommen können. Er er- klärt ihnen weiterhin, dass er dafür geradestehen müsse, wenn sich einer seiner Patienten mit Corona infiziert, und dass er darüber hinaus selbst ent- scheidet, wen er beschäftigt. SIND DROHUNGEN ETHISCH VERTRETBAR? Ist das restriktive und auch mit einer Drohung verbundene Vorgehen von B. aus ethischer Sicht vertretbar? Ist die durch das Impfgeschehen be- rührte körperliche Unversehrtheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein absoluter Wert oder darf B. den Schutz der Patienten dem gegenüber- stellen? Kann man möglicherweise an medizinisches Personal andere Maßstäbe anlegen als an Mitarbeiter außerhalb der Gesundheitsberufe? \ OBERFELDARZT DR. ANDRÉ MÜLLERSCHÖN Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg andremuellerschoen@bundeswehr.org Foto: privat EINFÜHRUNG Die Impfkampagne gegen das SARS-CoV2-Virus ist in diesen Wochen sicherlich eines der vorherrschenden Themen. Neben Diskussionen zur Impfreihenfolge und zur allgemeinen Akzeptanz der angebotenen Impfungen in der Bevölkerung lesen wir verstärkt Berichte, dass gerade im Bereich des medizinischen und pflegerisch tätigen Personals die Impfbereitschaft eher gering ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass von einzelnen Politikern und Medizinern auch Zwangsimmunisierungen diskutiert werden. Gerade auch in Zahnarztpraxen stellt sich die Frage, wie mit dieser Problematik umzugehen ist, ob es möglich ist, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Praxis angesichts der Pandemie-Lage zu einer Impfung zu verpflichten. Dies hat auch ein mediales Echo gefunden, beispielsweise wurde über Zahnärzte berichtet, die ihrem Praxisteam gewissermaßen eine Impfpflicht auferlegen wollten; es gibt auch Diskussionen, was mit Pflegepersonal geschehen soll, das sich einer Impfung verweigert. Diese Fragestellungen haben aber nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethische Dimension, wie der folgende fiktive Fall zeigt. Foto: AdobeStock_ alex.pin 36 | TITEL
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