Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (268) Intensivstationen, Fachkliniken für Lungenkrankheiten und Pflegekräfte in Seniorenheimen. Zahnarztpraxen zählen dagegen nach derzeitiger Stu- dienlage nicht dazu – entsprechend unwahrscheinlich ist eine so weit- reichende rechtliche Verordnung. Bezüglich der aktuellen Rechtslage ist jedenfalls festzuhalten: Das Vorhaben von B., seine Mitarbeiter zur Impfung zu verpflichten, ist durch das Recht nicht gedeckt – was zwangsläufig auch ethische Probleme aufwirft. Aus genuin ethischer Sicht lassen sich noch weitere Argumente gegen eine Impfpflicht anführen: Das erste ist der Respekt vor der Auto- nomie des Einzelnen: Eine Impfung ist eine individuelle Entscheidung, die zudem das Recht auf körperliche Unversehrtheit berührt. Grundsätz- lich greift jede Impfung in die kör- perliche Integrität ein und bedarf daher eines Informed Consent (Zu- stimmung nach Aufklärung). Wäh- rend sich die Impfbefürworter von einer Impfung zuvorderst Schutz versprechen und daher einwilligen, sehen Impfskeptiker vor allem Gefah- ren (Neben- und Wechselwirkungen, Spätfolgen). Sie sehen also in der Impfung einen Risikofaktor für eine (vermeidbare) Erkrankung. Zudem betrachten sie Zwangsimpfungen als Eingriff in ihre Freiheitsrechte. Impf- skeptiker befinden sich unter medi- zinischen Laien ebenso wie unter medizinischem Fachpersonal. Ihre Sichtweise muss man nicht teilen – aber man sollte aus ethischer Sicht den Entschluss gegen eine Impfung als höchstpersönliche Entscheidung akzeptieren. Dies umso mehr, als wir über etwaige Spätfolgen noch keine zuverlässigen Kenntnisse haben und auch über die (Nicht-)Infektiösität Geimpfter noch keine Aussage treffen können. Ein weiteres Argument gegen eine Impfpflicht ist die gesellschaftliche Akzeptanz: Massenimpfungen mit dem Ziel einer „Herdenimmunität“ sind nur dann zu erreichen, wenn sie gesellschaftlich breit akzeptiert sind. Die Bereitschaft leidet jedoch erheb- lich, wenn Zwangsmaßnahmen ins Spiel kommen. Zwang ruft nicht nur Misstrauen und Abwehrreaktionen hervor, sondern liefert auch Impf- gegnern Argumente – getreu dem Motto: Wären die Regierungsverant- wortlichen von der Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs überzeugt, müssten und würden sie keine Zwangsmaßnahmen ergreifen. Die hierdurch ausgelöste Verunsicherung der Bevölkerung wäre größer als der von Zwangsmaßnahmen erhoffte Nutzen für den Infektionsschutz. Im vorliegenden Fall baut B. gegenüber seinen Mitarbeitern Druck auf, indem er einen Zwang zur Impfung an- droht: Zwang ist grundsätzlich kein probates Element einer vertrauens- vollen Interaktion am Arbeitsplatz. „Impfverweigerern“ mit Arbeitsplatz- verlust zu drohen, ist zudem in der Sache kontraproduktiv, weil damit die Chance, das Gegenüber argumen- tativ zu überzeugen, zugunsten der „Macht des Stärkeren“ aufgegeben wird. Zu guter Letzt birgt die Androhung von B. auch Diskriminierungspoten- zial. Wenn er beschließt, geimpfte Mitarbeiter weiter zu beschäftigen und nicht-geimpfte ohne Lohnfort- zahlung freizustellen, setzt sich B. dem Vorwurf der Ungleichbehand- lung beziehungsweise der Diskrimi- nierung aus und riskiert eine Klage aufgrund des „Allgemeinen Gleich- behandlungsgesetzes (AGG)“. Fazit: Auch wenn B. zu unterstellen ist, dass er für Mitarbeiter und Patien- ten das Beste will, scheinen aus nor- mativer Sicht die Argumente gegen das von ihm angekündigte Vorgehen zu überwiegen. Derzeit behandelt er die „Impf-The- matik“ auf einer sehr persönlichen Ebene: als Thema zwischen Vorge- setztem und Nachgeordneten, mit dem Charakter einer „dienstlichen Anordnung“. B. sollte das Themen- feld „Impfen“ auf eine breitere Grundlage stellen und zu einem sanktionsfreien Meinungsaustausch einladen: Er könnte aktuelle Aufklä- rungsliteratur bereitstellen, seine Mit- arbeiter für (Online-)Informations- veranstaltungen zum Thema Impfen freistellen, Referenten mit einschlägi- ger Expertise zu einer (Online-)Fort- bildung für das Praxisteam einladen und/oder diejenigen Mitarbeiter, die sich als erste eigeninitiativ impfen lassen, im Rahmen der gemeinsamen Arbeitszeit über ihre Erfahrungen be- richten lassen. Auch ein Erfahrungs- austausch mit anderen Praxisteams (unter den erschwerten Bedingungen des Lockdowns) ist denkbar – alles mit dem Ziel, etwaige Wissensdefizite zu beseitigen und hierdurch bedingte Bedenken zu zerstreuen. Denn nicht selten beruhen Unsicherheit und Ab- lehnung auf unzureichendem Wissen und falschen Vorannahmen. Mit den besagten Maßnahmen wird er vielleicht nicht alle, aber doch viele Teammitglieder erreichen – ohne Zwang und ohne die Androhung von Sanktionen. \ Foto: AdobeStock_Alexander Limbach 38 | TITEL

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