Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (274) [Orlandi et al., 2014; Schmitt et al., 2015], allerdings mit widersprüch- lichen Ergebnissen. Die Autoren der vorliegenden Übersichtsarbeit haben daher die vorhandene Literatur zum Thema kritisch unter die Lupe genommen. In ihrem Review mit Metaanalyse verglichen sie die PWV- Werte von Patienten mit schwerer und nicht-schwerer beziehungsweise ohne Parodontitis und untersuchten, ob eine Parodontalbehandlung die PWV beeinflusst. Insgesamt wurden 17 Studien mit 3.176 Patienten in die Untersuchung eingeschlossen. In allen Studien wur- den die PWV-Werte erwachsener Patienten mit schwerer Parodontitis unabhängig von Komorbiditäten wie Diabetes oder Bluthochdruck mit den PWV-Werten von Patienten ohne oder mit leichter Parodontitis ver- glichen. Es gab jeweils Messungen vor und nach einer Parodontal- behandlung (Scaling und Wurzel- glättung, chirurgische Therapien, mit oder ohne Antibiotika, Antiseptika und Probiotika). Von zwölf eingeschlossenen Quer- schnittsstudien zeigten fünf eine signifikante Assoziation zwischen Ar- teriensteifheit und Parodontitis. Drei Studien davon verglichen Patienten, ähnlich in Alter, Geschlecht, Blut- druck- und Raucherstatus, mit und ohne Parodontitis. Die Parodontitis- patienten wiesen durchweg höhere PWV-Werte auf. Khumaedi et al. [2019] konnten eine signifikante Korrelation zwischen Taschentiefen und PWV nur bei Diabetikern nach- weisen, die einen HbA1c größer sie- ben hatten. Allerdings fanden weitere vier Studien keinen signifikanten Unterschied bei den PWV-Werten zwischen Parodontitis- und Nicht- Parodontitispatienten. Wurden die PWV-Messungen ge- poolt, kam heraus, dass Patienten mit schwerer Parodontitis im Schnitt eine um 0,84 Meter pro Sekunde höhere Pulswellengeschwindigkeit hatten als Patienten mit nicht-schwerer Paro- dontitis. Dieser erhöhte Wert von fast 1 Meter pro Sekunde bei Patienten mit schwerer Parodontitis ist klinisch relevant – Vlachopoulos et al. brach- ten einen solchen Wert mit einem um 14 Prozent erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse in Verbin- dung [2010]. EFFEKTE DER PARODONTAL- BEHANDLUNG AUF DIE PWV Die Ergebnisse der insgesamt fünf interventionellen Studien des Re- views bezüglich der Wirkung einer Parodontaltherapie auf die PWV sind nicht eindeutig. Nur zwei Interven- tionsstudien waren randomisiert und kontrolliert. Die eine zeigte eine signifikante mittlere Reduktion der PWV einen Monat nach nicht-chirur- gischer Parodontaltherapie mit loka- ler Minocyclin-Anwendung gegen- über der Gruppe, die nur eine supra- gingivale Zahnreinigung erhalten hatte [Ren et al., 2016]. Die zweite Studie konnte keinen signifikanten Unterschied bei den PWV-Messungen vor und nach Parodontalbehandlung bei australischen Aborigines zeigen [Kapellas et al., 2014]. Die nicht-chi- rurgische Parodontaltherapie war in dieser Studie allerdings weniger umfangreich, denn sie fand in einer einzigen Sitzung statt. Zudem ermit- telten die Forscher die PWV-Werte drei und zwölf Monate nach der interventionellen Therapie. Es liegt nahe, dass die Entzündungswerte ohne die bei schwerer Parodontitis meist in engen zeitlichen Intervallen angezeigte Unterstützende Parodontal- therapie (UPT) dann aber schon wieder gestiegen sein dürften. Damit dürfte die Aussagekraft dieses Studien- designs eher begrenzt sein. Die anderen Interventionsstudien hatten ein Vorher-Nachher-Design und kamen hinsichtlich einer Ver- besserung der PWV-Werte nach Paro- dontitistherapie zu keinen eindeu- tigen Ergebnissen: Positive Effekte der Parodontitisbehandlung auf die PWV-Werte wurden zwar berichtet, aber nicht bei allen Studien. Eine ein- deutige Aussage hinsichtlich der Wir- kung einer Parodontitistherapie ist im Hinblick auf die insgesamt schmale Studienlage kaum möglich. Im vorlie- genden Review waren die beiden ran- domisierten, kontrollierten Interven- tionsstudien aufgrund verschiedener Messmethoden der PWV und wegen unterschiedlicher spezifischer Merk- male der untersuchten Gruppen kaum vergleichbar. Zudem waren die nicht-chirurgischen Parodontal- behandlungen in den Studien unter- schiedlich ausgestaltet. Um Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verhüten, reicht die Einflussnahme auf bekannte Risikofaktoren wie Blut- hochdruck, Stoffwechselstörungen, Tabakkonsum, geringe körperliche Aktivität und ungesunde Ernährung offenbar nicht aus. Parodontitis ist ein weiterer Risikofaktor, der kardio- vaskuläre Ereignisse begünstigen kann. Der pathophysiologische Zu- sammenhang zwischen Parodontitis und nachlassender Elastizität der Blutgefäße ist noch nicht genau ge- klärt. Forscher sehen die möglichen Ursachen in der bakteriellen Infek- tion, dem entzündlichen Geschehen oder im Zusammenwirken von Bakte- rien, Entzündung und Immunität. FAZIT Insgesamt unterstützt das Review der französischen Wissenschaftler die Existenz eines signifikanten Zusam- menhangs zwischen arterieller Steif- heit und schwerer Parodontitis, die unbehandelt in Studien zu höheren PWV-Werten geführt hat. Diese Er- gebnisse unterstreichen erneut die Notwendigkeit einer engen Verzah- nung von Zahnmedizin und Medizin in der Prävention von Parodontal- erkrankungen und kardiovaskulären Ereignissen. \ Quelle: Darnaud C, Courtet A, Schmitt A, Boutouyrie P, Bouchard P, Carra MC: Association between periodontitis and pulse wave velocity: a systematic review and meta-analysis. Clin Oral Investig. 2021 Jan 7. doi: 10.1007/s00784–020–03718–2. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 44 | ZAHNMEDIZIN

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