Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (276) ZM-REIHE: PIONIERINNEN DER ZAHNMEDIZIN – TEIL II Elsbeth von Schnizer – Kieferorthopädin und Professorin mit Karrierebruch Dominik Groß, Julia Nebe Elsbeth von Schnizer (1900–1998) war die zweite Frau, die in Deutschland eine Lehrbefugnis für Zahnheilkunde erlangte und die erste Kieferortho- pädin mit einem Professorentitel. Doch ihre wissenschaftliche Karriere hatte nach 1945 keinen Bestand. Was waren die Hintergründe und was machte von Schnizer dennoch zu einer wissenschaftlichen Pionierin? E lsbeth von Schnizer wurde am 20. August 1900 in Aumetz in Lothringen geboren. Sie war die Tochter des Generaloberarztes und Oberregierungsmedizinalrates Karl von Schnizer (1868–1946) und dessen Frau Amalie, geb. Paraquin (1876–1936). 1 Aufgrund der Tätigkeit des Vaters verbrachte von Schnizer ihre Kindheit an wechselnden Orten, unter anderem in Danzig, Höxter und Mühlhausen. 1914 wurde die Fa- milie dann in Freiburg i. Br. ansässig. 1920 schloss Elsbeth von Schnizer ihre Schulausbildung an der Freibur- ger Oberrealschule mit dem Abitur ab. 2 Im selben Jahr immatrikulierte sie sich für das Studium der Zahn- heilkunde in Freiburg und späterhin in Heidelberg. 1924 konnte von Schnizer ihr Studium abschließen. Sie wurde in Heidelberg mit einer Arbeit über „Bau und Verlauf der mensch- lichen Schmelzprismen“ promoviert. 3 Anschließend wurde von Schnizer Volontärassistentin und spätestens 1927 Assistentin an der Heidelberger Universitätszahnklinik bei dem jüdischen Professor Georg Blessing (1882–1941). Im Juli 1932 konnte sie sich dann – bei Blessing – für Zahnheilkunde habilitieren. Ihre Habilitationsschrift trug den Titel „Über den Einfluß einer Vitamin D- und kalkarmen Ernäh- rung auf die Bildung der harten Zahn- gewebe“. 4 Beinahe wäre sie die erste weibliche Habilitierte in diesem Fach gewesen: In München hatte Maria Schug-Kösters (1900–1975) 5 nahezu zeitgleich mit ihrer Habilitation be- gonnen. Jene schloss das Verfahren allerdings bereits im Februar 1932 ab. PROFESSORIN OHNE PLANSTELLE Schnizer wurde Privatdozentin und Abteilungsleiterin für Orthodontie (heute: Kieferorthopädie). Bis 1937 war sie zudem für Prothetik zuständig. Da Blessing aufgrund seiner jüdischen Her- kunft 1934 zwangsemeritiert worden war, wurde die Heidelberger Klinik (seit 1935) von Karl Friedrich Schmidhuber (1895–1967) 6 geleitet. Von Schnizer blieb zunächst weiterhin in ihrer Funktion tätig. 1936 konnte sie zur Fachzahnärztin für Kieferorthopädie arrivieren. Damit gehörte sie einmal mehr zu den Pionieren, denn erst 1935 war die betreffende Fachzahn- arztbezeichnung eingeführt worden. Im April 1937 ließ sich von Schnizer dann in Heidelberg in eigener Praxis nieder. Allerdings blieb sie auch wei- terhin Leiterin der orthodontischen Abteilung – nunmehr „ohne Gehalt“. Im April 1940 wurde sie in Heidelberg zur außerplanmäßigen Professorin er- nannt, ohne dass damit eine Planstelle verbunden war. 1943 übernahm sie zudem das Amt der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses für Fachzahn- ärzte für Kieferorthopädie. 7 Sie leitete die Abteilung bis 1945. 8 Das Kriegsende markierte dann eine weitere Zäsur: von Schnizer wurde im Oktober 1945 von der Universität sus- pendiert. Im Dezember 1945 wurde ihr auch die Praxistätigkeit untersagt. Sie war nun gezwungen, ihren Lebens- unterhalt mit fachfremder Arbeit zu verdienen. So trat sie Anfang 1946 eine von der Militärregierung genehmigte Tätigkeit bei ihrer Praxisnachfolgerin Elisabeth Büchler als technische Laborarbeiterin an. 9 Erst um 1948 konnte sie sich wieder als Fachzahn- ärztin in Heidelberg niederlassen. 10 Bildinfo: BArch, NS 44/121, Bl. 69 – mit freundlicher Genehmigung des Bundesarchivs Berlins Elsbeth Schnizer, um 1938 1 GeneralLA Karlsruhe, PA 235/2486, Spruch- kammerakte 465 q Nr. 14198; UA Heidelberg, PA 1164; Kürschner (1940/41), Bd. 2, 661; Friederich (1968), 100f.; Wirsching (1973), 111; Kristen (1996), 216–234; Türck (2008), 8–12 2 UA Heidelberg, PA 1164; GeneralLA Karlsruhe, PA 235/2486; Balschbach (1990), 150 3 Schnizer (1924) 4 Schnizer (1932) 5 Groß (2021) 6 Groß (2020c) 7 GeneralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 8 GeneralLA Karlsruhe, PA 235/2486 9 GeneralLA Karlsruhe, 466–5/753 10 Adressbuch der Deutschen Zahnärzte (1948), 61 46 | GESELLSCHAFT

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