Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (277) ZM-REIHE „PIONIERINNEN DER ZAHNMEDIZIN“ Dorothea Dausch-Neumann (zm 8/2021) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 16 (1957), 120 Gisela Schützmannsky (zm 7/2021) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 39 (1980), 65 Anna-Luise Gentz (zm 6/2021) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 39 (1980), 65 Herta Byloff-Clar (zm 5/2021) Foto: Byloff (2020) Elsbeth von Schnizer (zm 4/2021) Foto: BArch, NS 44/121, Bl. 69 Maria Schug-Kösters (zm 3/2021, S. 44–48) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 13 (1954), 70 Wenngleich von Schnizer keine amt- liche Tätigkeit an der Universität mehr ausübte, führte sie weiterhin den Professorentitel. Auch hielt sie fachlichen Kontakt zu Reinhold Ritter (1903–1987) 11 , der die Heidelberger Zahnklinik ab 1947 leitete. Von Schnizer war mindestens bis 1978 als niedergelassene Fachzahnärztin tätig 12 – vermutlich jedoch länger. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie zu- rückgezogen in einem Heidelberger Seniorenheim. 13 Dort verstarb sie am 26. Februar 1998. 14 „MIT DER ZEIT MÜSST IHR FRAUEN WEG“ Der hier skizzierte Lebenslauf von Schnizers wirft im Wesentlichen drei Fragen auf: Welche Gründe führten 1937 zur Praxisniederlassung? Warum kam es nach dem Krieg zum Karriere- bruch? Und schließlich: Worin bestand ihre fachliche Bedeutung? Eine mögliche Antwort auf die Frage, warum von Schnizer sich niederließ, ist einem Schreiben Schmidhubers vom 29. Juni 1936 an den Dekan sei- ner Fakultät zu entnehmen. Dort teilte jener mit, dass von Schnizer durch einen männlichen Assistenten ersetzt werden sollte. 15 Tatsächlich erhielten in dieser Zeit (potenzielle) „Familien- väter“ an den Universitäten bei Stellen- konkurrenz in der Regel den Vorzug gegenüber weiblichen Kollegen. 16 Wir wissen, dass sich auch Maria Schug- Kösters 17 – die in München habilitierte Privatdozentin für Zahnheilkunde – zur Praxisgründung veranlasst sah. Sie ging diesen Schritt, „um männlichen Kollegen Platz zu machen“. 18 Zwei weitere Fakten sprechen dafür, dass der Fall von Schnizer ähnlich ge- lagert war: Zum Ersten war Letztere unverheiratet, zum Zweiten sah sie ihre Zukunft seit der Machtübernahme Hitlers als brüchig an. So gab sie nach Kriegsende zu Protokoll: „1933 war mit der Verhaftung meines Chefs meine Laufbahn als Dozent und Kli- nikassistent zeitweise gefährdet, teils infolge der allgemeinen Hochschul- politik, die anfänglich die Frauen ausschalten wollte. So hatte z. B. der Hochschulreferent für Zahnheil- kunde mir gegenüber geäußert: ‚ Mit der Zeit müsst Ihr Frauen weg‘.“ 19 Für die medizinischen Fakultäten waren niedergelassene Privatdozent(inn)en durchaus attraktiv: Sie waren oft bereit, trotz Praxistätigkeit unbezahlt Lehr- oder gar Leitungsaufgaben an ihren Universitäten wahrzunehmen, weil die meist angestrebte Ernennung zum Titularprofessor („außerplanmäßiger Professor“) an den fortgesetzten Nach- weis derartiger Tätigkeiten gebunden war. Auch von Schnizer nahm weiter- hin Lehr- und Leitungsaufgaben an ihrer Universität wahr. Und tatsäch- lich wurde von Schnizer 1940 der Professorentitel zugesprochen. Doch nicht nur die persönliche Verbindung zu ihrem entrechteten jüdischen Mentor Blessing und das reaktionäre Frauenbild dürften von Schnizer nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Sorge gemacht haben, sondern auch das 1933 erlas- sene „Gesetz zur Verhütung erbkran- ken Nachwuchses“. Es legalisierte die Zwangssterilisierung vermeintlich „Erbkranker“. Von Schnizer war selbst Trägerin einer (operierten) Lippen- spalte, und in den Folgejahren kam es immer wieder zur „Unfruchtbar- machung“ von Spaltträgern. 20 Doku- mentiert ist, dass von Schnizer im Juni 1939 einer ärztlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt Heidelberg unterlag. Auf dem in ihrer Personal- akte verwahrten Befundblatt findet sich der Vermerk, dass von Schnitzer eine „Hasenschartenoperation im 1. Lebensjahr“ durchlaufen hatte. Unter äußeren Leiden wird vermerkt: „Hasen- schartenoperationsnarbe, nicht auf- fällig“. Von besonderer Bedeutung dürfte der Befund der Mundhöhle ge- wesen sein: hier war „ohne Besonder- heit“ eingetragen, was darauf schlie- ßen lässt, dass die Lippenspalte nicht mit einer Gaumen- und Rachenspalte einherging. 21 WEGEN IHRER LIPPENSPALTE „ERBKRANK“-VERDÄCHTIG Doch warum kam es bei Elsbeth von Schnizer nach dem Krieg zum Karriere- bruch? Ihre Entnazifizierungsakte of- fenbart, daß sie mehreren NS-Organi- sationen beigetreten war. Ob sie dies tat, weil sie sich – wie ausgeführt – als Außenseiterin wähnte und hoffte, sich durch politisch angepasstes Ver- halten vor Entrechtungen schützen zu können, oder ob sie Sympathien für die NS-Bewegung hegte, muss 11 Groß et al. (2018); Groß/Schmidt (2020) 12 Deutsches Zahnärztliches Adressbuch (1978), 36 13 Blaschbach (1990), 151 14 Stadt Heidelberg – Bürgeramt Mitte: Auskunft vom 27.02.2020 15 GeneralLA Karlsruhe, PA 235/2486 16 Groß (1998); Groß (2009); Groß/Schäfer (2011); Groß (2019), 63–70 17 Groß (2021) 18 UA LMU München, PA E-II-3078 19 GeneralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 20 Thieme (2018) 21 UA Heidelberg, PA 1164

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=