Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4
zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (278) offen bleiben. Jedenfalls war sie An- fang Mai 1933 NSDAP-Mitglied ge- worden (Partei-Nr. 3.464.630). 1934 wurde sie Mitglied der NS-Frauen- schaft, wo sie von 1937 bis 1940 als Ortsfrauenschaftsleiterin fungierte (Abbildung 2) 22 . In der betreffenden Mitgliederkartei wird sie charakteri- siert mit den Worten „sehr still und bescheiden, hat Interesse an der Arbeit, trat in keiner Weise hervor“. 23 Sie ge- hörte zudem seit 1933 der NS-Kultur- gemeinde an und war (mutmaßlich 1934) dem NS-Dozentenbund beige- treten. Weitere Mitgliedschaften be- trafen den NS-Ärztebund, den Reichs- luftschutzbund und den Reichskolo- nialbund. Außerdem war sie seit 1934 Fördermitglied der Allgemeinen SS – was nicht mit einem Eintritt in die SS verwechselt werden darf. 24 IN DER NS-ZEIT VERHIELT SIE SICH OPPORTUN Von Schnizer begründete ihren Partei- eintritt im November 1946 mit ihrer Außenseiterrolle als Frau in der Wis- senschaft und vermerkte, dass sie „es als einzige habilitierte Frau meines Faches in Deutschland“ als ihre Pflicht angesehen habe, den vorgenannten Organisationen beizutreten. 25 Unbe- schadet dieser Erklärungsversuche und etlicher beigebrachter Leumunds- zeugnisse – darunter auch ein Schrei- ben des Bonner Kieferorthopäden Gustav Korkhaus (1895–1978) 26 und etlicher Patienten, die sie als selbstlos und unpolitisch skizzierten – wurde von Schnizer im Februar 1947 als „belastet“ (Gruppe 2) entnazifiziert. 27 In der Folge strebte sie – was absolut die Regel war – eine Revision des Schuldspruchs an. Im Mai 1948 wurde sie dann im Revisionserfahren als „Mitläuferin“ (Gruppe 4) eingestuft. 28 Denkbar ist, dass von Schnizer Sorge hatte, im „Dritten Reich“ Repressionen zu erleiden und dass dies zu ihrem politisch opportunen Verhalten betrug. Letzteres zeigte sich an verschiedenen Stellen. So erwähnte sie in einem Lebenslauf von 1944, dass ihre Mutter „Trägerin des goldenen Abzeichens der NSDAP“ gewesen sei. 29 Helmut Dirksen (*1912) bearbeitete unter ihrer Anlei- tung das Promotionsprojekt „Aufgaben und Ausbau zahnärztlicher Propagan- da“, bei dem der Zahnarzt 1937 als ‚ Gesundheitssoldat Adolf Hitlers‘ ein- gestuft wurde“, wie Hans Jörg Staehle jüngst herausarbeitete. 30 In einer wei- teren, 1943 abgeschlossenen Doktor- arbeit von Gertrud Schmahl (*1916) ließ sie die Bedeutung der Konstitutionslehre für die Zahnheilkunde untersuchen. 31 Schnizers linientreues Verhalten war keineswegs ungewöhnlich: Letztlich hatten sich annährend zwei Drittel aller (zumeist männlichen) zahnärzt- lichen Hochschullehrer bis 1945 der NSDAP angeschlossen. 32 Unter diesen befanden sich etliche, die im Unter- schied zu von Schnizer als glühende Nationalsozialisten in Erscheinung traten oder sogar der SS angehörten. Zwar wurden auch diese Männer 1945 aus dem Hochschuldienst entlassen, doch nur selten wurde ein (längeres) Praxisverbot verhängt und die große Mehrheit dieser belasteten Hoch- schullehrer konnte ihre universitäre Positionen im Nachkriegsdeutschland „zurückerobern“ – wie etwa der über- zeugte Nationalsozialist Heinrich Fabian (1889–1970) 33 – oder sogar ausbauen. So gelangten selbst Dozenten mit SS- Vergangenheit im Nachkriegsdeutsch- land auf Lehrstühle – etwa Gerhard Steinhardt (1904–1995), Eugen Wan- nenmacher (1897–1974), aber auch von Schnitzers langjähriger Vorge- setzter Karl-Friedrich Schmidhuber. Letzterer wies als NS-Dozentenbund- führer der Universität Heidelberg und SS-Obersturmbannführer eine weit- aus höhere politische Belastung auf als von Schnizer. Dennoch arrivierte er nach dem Krieg in Köln zum Ordi- narius und später zum Dekan. 34 Glei- ches gilt für den erwähnten Reinhold Ritter. 35 Auffällig ist des Weiteren, dass von Schnizer in ihrem Entnazifi- zierungsverfahren sehr ehrliche An- gaben machte, während für etliche Kollegen Halbwahrheiten, Auslassun- gen und zum Teil auch eindeutige Falschaussagen nachweislich sind, so etwa Ewald Harndt (1901–1996) 36 oder Erwin Reichenbach (1897–1973) 37 . Festzuhalten ist, dass die Sanktionen gegen von Schnizer außergewöhnlich hart ausfielen. Ob das damit zusammen- hing, dass man die politische Verstrickung bei ihr als Frau anders beziehungsweise schwerer gewichtete, ist nicht belegbar. Auffällig ist jedoch, dass von Schnizer sogar Mühe hatte, wieder als praktische Zahnärztin zugelassen zu werden. Dies gelang ihr nach eigener Aussage nur mithilfe des Standespolitikers (und späteren BDZ-Präsidenten) Walter Knott (1905–1987) 38 : Knott hatte 1932, als von Schnizer ihre Habilitation einreichte, an der Universität Heidel- berg über die Versorgung operativer Wunden in der Mundhöhle promo- viert; insofern ist zu vermuten, dass sich beide seit dieser Zeit kannten. 39 An ihre frühere Hochschulkarriere konnte sie nicht wieder anschließen, ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. Bildinfo: BArch, NS 44/121, Bl. 69 – mit freundlicher Genehmi- gung des Bundesarchivs Berlins Abb. 2: Mitgliederkarteikarte der NS-Frauenschaft zu Elsbeth von Schnizer, um 1938 22 BArch, NS 44/121, Bl. 69 23 BArch, NS 44/121, Bl. 69 24 BArch R 9361-IX/39000581; BArch R 4901/13272; BArch R 4901/13264; Gene- ralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 25 GeneralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 26 Groß (2018a) 27 GeneralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 28 GeneralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 29 BArch R 9361-II/1127187 30 Dirksen (1937); Staehle (2020), 240 31 Schmahl (1943); Staehle (2020), 240 32 Groß (2018b); Groß (2020d) 33 Groß (2020a) 34 Groß (2020c); Groß (2020d), 77 35 Groß et al. (2018); Groß (2020c) 36 Groß (2020e) 37 Groß (2020f)
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