Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

auch wenn sie späterhin offenbar mit dem Heidelberger Klinikdirektor Rit- ter kooperierte – womöglich, um den Professorentitel behalten zu können. Die Zusammenarbeit mit Ritter ent- behrte nicht einer gewissen Pikanterie, war dieser doch im „Dritten Reich“ als Befürworter der Zwangssterilisation von Patienten mit (erblichen) LKG- Spalten hervorgetreten. 40 EINE AUßERORDENTLICHE VERTRETERIN IHRES FACHS Warum ist von Schnizer dennoch als wissenschaftliche Pionierin einzuord- nen? Wie außergewöhnlich Schnizers frühe Habilitation (1932) war, offenbart die Tatsache, dass sich erst Ende der 1990er-Jahre (sic!) in Heidelberg die nächsten Zahnärztinnen habilitierten. 41 Auch fachlich hinterließ von Schnizer Spuren. Gustav Korkhaus, der führende deutsche Kieferorthopäde der Nach- kriegszeit, schrieb am 16. August 1946 über die Kollegin: „Seit dem Jahre 1924 bis in die letzte Zeit hat sie eine grosse Reihe wissenschaftlicher Arbeiten ver- fertigt, die durch Klarheit der Problem- stellung, die saubere und exakte Beur- teilung und geschickte, nie trockene Formulierung auffallen. Diese Arbeiten sind im Besonderen der Kieferortho- pädie und der Prothetik gewidmet, die als ihre Hauptarbeitsgebiete anzusehen sind. Im Rahmen der kieferorthopä- dischen Fortbildung der deutschen Zahnärzte nahm Frau von Schnizer bald eine führende Stellung ein“. 42 Zuvor – am 29. Januar 1944 – hatte bereits ihr Vorgesetzter Schmidhuber eine sehr positive Beurteilung verfasst: „Prof. E. v. Sch. ist eine ausserordentlich befä- higte Vertreterin ihres Sonderfaches, eine gute Lehrerin und eine Frau mit sehr grossem allgemeinem Wissen.“ 43 Auch als Betreuerin von Promovenden zeigte sie sich sehr engagiert. So ent- standen allein in den Jahren 1933 bis 1943 47 Dissertationen. 44 Ihre eigenen Arbeiten befassten sich neben kiefer- orthopädischen und prothetischen Themen auch mit zahnhistologischen Fragestellungen. Besonders häufig zi- tiert wurden eine Arbeit zum Verlauf menschlicher Schmelzprismen (1925), 45 die erwähnte Habilitationsschrift sowie eine Tierstudie zum Daumenlutschen und zur Gebissentwicklung. 46 Weitere Beiträge galten der Psychologie in der Zahnheilkunde, 47 wirtschaftlichen Aspekten der Zahnarzttätigkeit, 48 der Geschichte der Kieferorthopädie 49 und den „Aufgaben der Frau im zahnärzt- lichen Beruf“ 50 . 1942 entwickelte sie eine „kiefer- orthopädische Befundkarte für fort- laufende Schuluntersuchungen“; diese stellte die Rückseite der damaligen „Heidelberger Schuluntersuchungs- karte“ dar. 51 1944 konnte sie zudem ein Patent für die „Konstruktion eines Modell-Socklers“ anmelden. 52 Zu guter Letzt erwarb sich von Schnizer auch fachpolitische Verdienste: So ge- hörte sie in den 1950er- und 60er- Jahren – wiederum als einzige Frau – dem sechsköpfigen „Fachzahnarzt- ausschuss KFO“ an, der über die Anerkennung als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie wachte. 53 \ PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 38 Blaschbach (1990), 151; UA Heidelberg – Auskunft vom 17.11.2020 zur Promotion von Walter Knott 39 Knott (1932) 40 Groß et al. (2018); Groß/Schmidt (2020) 41 Staehle (2020), 239 42 GeneralLA Karlsruhe, 465 q Nr. 14198 43 BArch R 9361-II/1127187 44 Komposch (2008), 96 45 Schnizer (1925) 46 Schnizer (1940) 47 Schnizer (1931) 48 Schnizer (1933a) 49 Schnizer (1933b) 50 Schnizer (1934) 51 BArch R 9361-II/1127187; Kriegsbeitrag (1943/44) 52 BArch R 9361-II/1127187 53 Jäger (2003), 23; Derzeit wird von Julia Nebe ein Promotionsprojekt zu den frühen zahnärzt- lichen Hochschullehrerinen durchgeführt. Es ist davon auszugehen, dass dieses weitere Einzel- heiten hervorbringt. zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (279) GESELLSCHAFT | 49

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=