Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (296) Augmentationen, die das Weich- gewebe nicht verdrängen müssen. Dr. Dr. Andreas Pabst Die Defektform, die Position des Weichgewebsmantels und die konsti- tutionellen medizinischen Faktoren des Patienten bestimmen zusammen die biologische Kapazität des zu rege- nerierenden Areals. Je schlechter diese biologische Kapazität einzustufen ist, desto komplikationsträchtiger muss der Eingriff eingeschätzt werden. DIE EINTEILUNG DER BIOMATERIALIEN Autologer Knochen ist selbstredend biologisch am weitesten kompatibel zum Empfänger, da in dem Fall Spender und Empfänger identisch sind. Allerdings ist die Wertigkeit des Knochens von der Entnahmestelle abhängig, so ist Knochen vom Becken anders als Knochen vom Unterkiefer einzuschätzen. Als potenzielle Nach- teile sind das grundsätzlich limitierte Knochenangebot des Patienten, mög- liche Resorptionen und der entste- hende Entnahmedefekt zu nennen. Allogener Knochen kommt von menschlichen Spendern und wird in verschiedenen Verfahren aufbereitet und gereinigt. Klinisch wird von der Unbedenklichkeit des Materials (wenn nach deutschen Richtlinien aufberei- tet, sind dies Arzneimittel nach dem deutschen Arzneimittelgesetz) ausge- gangen [Stopa et al., 2018; Solakoglu et al., 2019; Solakoglu et al., 2019], wobei aber diverse immunologische und infektiologische Fragestellungen bisher ungeklärt sind [Fretwurst et al., 2014; Ghanaati et al., 2014; Fretwurst et al., 2018; Li et al., 2019]. Zudem fin- det sich durch die unterschiedlichen Aufbereitungsprozesse wenig Litera- tur für die individuellen Materialien und klinischen Fragestellungen. Xenogener Knochen kommt von nichtmenschlichen Spendern, im Ge- brauch ist Material vom Rind (bovin), Schwein (porcin) und Pferd (equin), aber auch von Pflanzen (zum Beispiel Korallen). Bei xenogenen Knochen handelt es sich um Medizinprodukte. Für diese Produkte wurden 2020 die Zulassungskriterien verschärft. Wichtig ist zu beachten, dass das jeweilige Produkt auch wirklich eine gute Datenlage aufweist und nicht nur die jeweilige Materialgruppe. Ins- besondere einige bovine Produkte weisen eine gute Datenlage auf und sind resorptionsstabil [Klein et al., 2013; Majzoub et al., 2019; Mendoza- Azpur et al., 2019; Thoma et al., 2019]. Synthetische (alloplastische) Mate- rialien werden komplett künstlich hergestellt und sind daher aus Infek- tions- und immunologischen Ge- sichtspunkten unbedenklich. Sie sind bestenfalls als gleichwertig, eher noch als unterlegen zu anderen Knochen- ersatzmaterialien einzustufen, was die Regenerationskapazität angeht [Sanz und Vignoletti, 2015; Dau et al., 2016; Lorenz et al., 2016; Troeltzsch et al., 2016; Hung, Fu et al., 2019], können aber bei individueller Indika- tion klinisch äquivalent zu anderen Materialien genutzt werden. Ähnlich wie bei den Allografts gibt es auf- grund der großen Vielfalt wenig Lite- ratur für die jeweiligen Materialien und spezielle Fragestellungen. Jedes Biomaterial hat seine individuellen Stärken und Schwächen, Vor- und Nachteile. Eines allein zum klinischen „Goldstandard“ zu erklären ist obsolet. PD. Dr. Dr. Philipp Kauffmann Auf dem Markt findet sich eine un- übersichtliche Menge an Materialien. In der Leitlinie haben wir eine eigene umfangreiche Tabelle aufgeführt, bei der auch vermerkt ist, welche Materialien resorptionsstabil sind. Bitte beachten Sie bei der Auswahl des Materials, dass es für das infrage stehende Produkt auch für den Einsatzzweck ausreichend Literatur gibt. Häufig ist das nicht der Fall, sondern es wird sich allgemein auf die Stoffgruppe bezogen. PD. Dr. Dr. Phillipp Brockmeyer AUGMENTATION EINFACHER DEFIZITE UND DEFEKTE Ridge Preservation und Dehiszenz- defekte (Abbildungen 4 bis 6) Die Ridge Preservation ist die Aug- mentation eines Defekts mit hoher biologischer Kapazität, nämlich der mehr oder weniger knochenbegrenz- ten frischen Extraktionsalveole, wo- durch ein deutlich besserer Erhalt des Kieferkamms erreicht wird [Avila- Ortiz et al., 2014; Bonanini et al., 2014]. Beim Dehiszenzdefekt am Im- plantat wird eine kleine knöcherne Rezession an einer Implantatober- fläche beim Implantieren mit ver- sorgt, hierbei wird der Weichgewebs- mantel verdrängt, aber nicht über dessen ursprüngliche Position vor Entstehung des Defekts [Troeltzsch et al., 2016]. In beiden Fällen kommt partikuläres Material zum Einsatz. Wenn eine knöcherne Wand fehlt (also immer beim Dehiszenzdefekt), wird zusätzlich noch eine Membran verwendet [Llambes et al., 2007; Hassan, 2009; Jung et al., 2015; Troeltzsch et al., 2016]. Für diese Aug- mentationsmethoden können alle verfügbaren Materialien verwendet werden (wenn auch mit unterschied- lichem regenerativem Potenzial). Sogar für Platelet rich fibrin (PRF) [Schliephake et al., 2018], autologes Material aus extrahierten Zähnen [Ji-Young Lee, 2013; Kim et al., 2014; Schwarz et al., 2019] sowie Sonderwege wie die Socket-Shield- Technik [Gluckman et al., 2018] gibt es Literatur. Die meiste Evidenz findet sich aber für xenogenes und allogenes Material in absteigender Reihenfolge [Troeltzsch et al., 2019]. Ebenso können alle Membranarten verwendet werden, wobei resorbier- bare Kollagenmembranen ein beson- ders günstiges Wirkungs-Risiko-Profil zu haben scheinen [Le und Borzabadi- Farahani, 2014; Troeltzsch et al., 2016]. Foto: Markus Tröltzsch Abb. 3: Klinisches Bild zur Klasse B: Hier hat der Weichgewebsmantel den ehemaligen knöchernen Bereich eingenommen. 66 | ZAHNMEDIZIN

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