Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (303) wellen nach dem Mauerfall und den Flüchtlingsströmen vor ein paar Jahren verändert. Welche Ziele verfolgen Sie mit der aktuellen Studie und welche Ergebnisse erwarten Sie? Grundsätzlich wollen wir feststellen, wie weit verbreitet Zahn- und Kieferfehlstellungen in der Bevölkerung sind. Einerseits arbeiten wir mit internationalen Indizes, die die unterschiedlichen kieferorthopädischen Erkrankungen klassifizieren. Damit sind für uns als Wissenschaftler internationale Vergleiche möglich. Für viele Patienten in Deutschland gelten jedoch zur Fest- stellung einer Behandlungsindikation die sogenannten Kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG), um zu unterscheiden, welche Erkrankungsschwere von der GKV übernommen wird. Mit dem KIG-System können wir zusätzlich nach den Spezifika des deutschen Gesundheits- systems – insbesondere der GKV – schauen, wie hoch der Versorgungsbedarf ist. Anhand der Abrechnungsdaten können wir sehen, wie viele Kinder in Deutschland so behandelt werden. Im Vergleich der epidemiologischen Daten mit den Ab- rechnungsdaten wird sich zeigen, wie gut die Daten überein- stimmen oder nicht. Danach kann man mit der Ursachen- forschung beginnen: Woran liegt es, dass einige Kinder es nicht schaffen, sich kieferorthopädisch behandeln zu lassen? Sind dafür soziale Hintergründe verantwortlich? Auch wollen wir schauen, ob es Zusammenhänge mit Karieserkrankungen gibt. Welche Risikofaktoren könnten zu den Zahn- und Kieferfehlstellungen geführt haben? Wenn zum Beispiel Milchmolaren aufgrund von Karies gezogen werden müssen, dann ist das Risiko groß, dass für die nachfolgenden bleibenden Zähne nicht ausreichend Platz vorhanden ist. Würde man die Karies verhindern, könnte man wahrscheinlich auch einen Teil der Zahn- und Kieferfehlstellungen verhindern. Leider muss man ja feststellen, dass sich die Erfolge der Kariesprävention, die wir seit Jahren im bleibenden Gebiss sehen, noch nicht in gleichem Ausmaß im Milchgebiss darstellen. Insofern ist die Frage von großer klinischer Relevanz. Werden die Ergebnisse zu den Zahn- und Kiefer- fehlstellungen der Acht- und Neunjährigen einzeln veröffentlicht? Die Hauptpublikation zur DMS 6 wird voraussichtlich 2025 erscheinen, wenn die Untersuchungen in allen Alters- gruppen abgeschlossen sind. Aktuell untersuchen wir nur die acht- und neunjährigen Kinder. Für dieses erste Modul sind wir zurzeit für jedes Bundesland stellvertretend in einer Stadt oder Gemeinde, also an insgesamt 16 Unter- suchungsstandorten, unterwegs und untersuchen insge- samt 670 Kinder. Diese Anzahl ist notwendig, um statisch valide Zahlen zu erhalten. Wir rechnen damit, gegen Ende März mit der Felduntersuchung fertig zu sein. Solange es keine weiteren Verschärfungen in Hinblick auf die Corona-Pandemie gibt, werden wir im zweiten Quartal die statistische Auswertung machen. Im dritten Quartal 2021 ist geplant, den Forschungsbericht schreiben. Gegen Ende des Jahres wird der Bericht dem BMG überstellt. Nächstes Jahr beginnen wir mit der Untersuchung aller anderen Altersgruppen. Das wird wahrscheinlich ein Jahr lang dauern, da viel mehr Personen untersucht werden. Alles zusammen bildet dann die DMS 6. Der kieferortho- pädische Teil wird in der Hauptpublikation 2025 mit auf- genommen werden. Inwiefern wir auch schon früher über einzelne Ergebnisse berichten, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Wie ist die Beteiligung an der Studie bislang? Schreckt die Corona-Pandemie mögliche Teilnehmer ab? Bisher waren wir in Hamburg, Berlin, Reutlingen und Bremen. Hier war die Resonanz gut. Wir haben fast so viele Probanden untersucht, wie wir für jeden Standort geplant haben. Pro Standort sind das 43 Kinder. Die Stich- probenziehung erfolgt über die Einwohnermeldeämter. Wegen Corona haben wir dieses Mal eine sogenannte dreifache Übersetzung gewählt, das heißt, für jeden, den wir untersuchen wollen, werden drei Probanden eingeladen. Allerdings gab es wegen der aktuellen Corona-Situation bei einigen Teilnehmern wegen der Anfahrt zum Unter- suchungsstandort Bedenken. In Berlin sind viele auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Daher haben wir diesen Probanden angeboten, Hausbesuche zu machen und daheim die Untersuchung durchgeführt. Es ist aber schon ein sehr besonderes Ereignis, zu dieser Zeit eine derart groß angelegte Studie durchzuführen. Sie schöpft alle unsere Kapazitäten mehr als aus und unser Feldinstitut Kantar GmbH reißt sich förmlich Arme und Beine aus, damit wir das alle gemeinsam schaffen. Können Sie uns den Ablauf der Untersuchung schildern? Die Untersuchung besteht aus einem sozialwissenschaft- lichen Befragungsteil und einem kieferorthopädischen Untersuchungsteil. Im Vorfeld wurde den Familien zu- sammen mit dem Einladungsschreiben ein Fragebogen zu- gesandt, den sie zu Hause ausfüllen und zur Untersuchung mitbringen sollen. Hier wird nach Angaben gefragt, die man nicht spontan beantworten kann, zum Beispiel, wie hoch der Fluorid-Anteil in der verwendeten Zahnpasta ist. Im Untersuchungszentrum wird dann mit den Eltern und Kindern noch ein persönliches Interview durchgeführt. Für den Untersuchungsteil putzen sich die Kinder an einer von uns aufgebauten Mund-Hygiene-Station ihre Zähne. Danach fängt die dreiteilige zahnärztliche Unter- suchung an: Zuerst machen wir einen intraoralen Scan von den Zähnen. Eine intraorale Kamera macht etwa 1.500 Fotos pro Kiefer. Anschließend setzt ein Algorithmus die Aufnahmen dreidimensional zu einem virtuellen Modell zusammen. Diesen Vorgang können die Teilnehmer live auf dem Monitor mitverfolgen. Das Modell lässt sich drehen und von allen Seiten aus betrachten. Mithilfe der Kiefermodelle werden später am Computer die Zahn- und Kieferfehlstellungen ausgemessen. Nach dem Scan findet quasi eine normale zahnärztliche Untersuchung statt. Außerdem messen wir die Zahnbeläge und das Zahn- fleischbluten, um zu schauen, wie viel Restzahnbelag ZAHNMEDIZIN | 73

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