Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4
zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (238) Wenn Krisenzeiten für irgendetwas gut sind, dann vielleicht für ein klareres Bild von sich selbst und von der Relevanz des eigenen Berufs. Man mag jetzt an Künstlerinnen und Musiker, an Schauspielerinnen und Köche denken, aber auch bei uns werden erstaunlich oft ähnliche Fragen gestellt: Was sind wir der Gesellschaft eigentlich wert, mit welchem Recht sieht man uns so, wie man uns anscheinend sieht? Mit kaum unterdrückter Wut hat gerade eine junge Kollegin aus eigener Münchner Praxis ihre Antworten formuliert: Irgendwie sehe man uns als „Halbärzte“, als Hilfstruppen in Pandemiezeiten, die dann aber auch schnell wieder auf ihre hinteren Plätze verwiesen würden. Der Einzelne schätze seine Zahnärztin und seinen Zahnarzt sehr, aber die Decke journalistischen Wohlwollens sei dünn, und immer wieder breche das Zerrbild des „Porsche-fahrenden Halsabschneiders“ durch. Den stetig steigenden Personal- kosten sowie den bürokratischen und digitalen Pirouetten des Gesetz- gebers stünden seit vielen Jahren stagnierende Einnahmen gegenüber (Dr. Susanne Strauch, Zahnärztlicher Anzeiger 2/21, ZBV-München). Wer jetzt aus abgeklärter Lebens- erfahrung heraus antworten will, verkennt, dass sich hier junge Menschen mit der Glaubwürdigkeit eines noch unverstellten Blicks artikulieren. Gerade kürzlich waren wieder junge Landwirtinnen und Landwirte in Berlin zu sehen. Sie fuhren ihre Traktoren durch die Hauptstadt, weil sie keine Lust mehr haben, bei stagnierenden Erzeuger- preisen Prellbock für jede Ernährungs- und Umweltkapriole zu sein. Eine völlig andere Branche und doch gleichen sich die Probleme. Schön, dass unsere jungen Kolleginnen und Kollegen genauso engagiert sind, besonders schön, weil sie damit zeigen, dass die Zahnmedizin mehr für sie ist als ein Job. Um gehört zu werden, muss man an- erkannt sein. Dass wir Anerkennung verdienen, steht außer Frage, aber das Bild des „Halbarztes aus der zweiten Reihe“ steht viel zu oft als Elefant im Raum. Dabei sollte gerade jetzt jedem klar geworden sein, was wir leisten können. Im Gegensatz zur großen Schar der Epidemiologen, Virologen und Immu- nologen, die uns die Pandemiezeit mit stetig wechselnden Theorien, Szenarien und Konzepten vertreiben, haben wir Zahnärztinnen und Zahnärzte doch etwas geradezu Ein- zigartiges geleistet: Obwohl wir un- mittelbar am infektionsträchtigsten Ort – dem Mund – arbeiten, stecken wir uns dennoch kaum an. Bei der Arbeit fast gar nicht und auch privat viel weniger als der Normalbürger. Dabei haben wir klar und unbeirrt Richtung gehalten, ohne dass unser Hygiene-Kompass hin- und her- getanzt wäre wie bei renommierten Instituten und befreundeten Berufen. Was mehr braucht es für den Expertenstatus, als zeigen zu können, was abseits grauer Theorie im wirklichen Leben funktioniert? Wir können das! Kein Wunder, dass die Wirtschafts- woche im August titelte „Wie das Prinzip Zahnarztpraxis bei der Corona-Eindämmung helfen könnte“. Gleichzeitig fällt dann aber der Stadt Jena nichts Besseres ein, als Studierende – zum Beispiel aus dem Studiengang „Soziale Arbeit“ – nach einem Hygiene-Crashkurs als „COVID-Guards“ in Pflegeheime zu schicken. Dabei verfügt jedes Heim mit Kooperationsvertrag doch längst über Expertenwissen, nämlich das der Zahnärztin oder des Zahn- arztes. Hier wären Etatmittel für entsprechende Schulungen bestens angelegt. Eigene Erfahrungen zeigen, wie segensreich das wirkt. Man hört auch von Kolleginnen und Kollegen, die die Teams ärztlicher Praxen schulen. Auch das ließe sich verste- tigen und würde viel mehr bringen, als irgendwelche „Guards“ mit Prüf- auftrag loszuschicken. Aber wir können auch weiterdenken. Mit unserer Expertise könnten Konzepte entstehen, die in vielen anderen Branchen das Infektions- risiko entschärfen helfen. Und natür- lich geht noch mehr als Hygiene. Weil wir in der Prävention so gut aufgestellt sind, fragt die American Dental Association, warum unser Fokus nicht auch auf chronische Allgemeinerkrankungen ausgedehnt werden sollte, die ohnehin alle mit dem Mund zusammenhängen. Gemeinsam schaffen wir den Elefanten endlich aus dem Raum, denn wir sind keine Halb-Ärzte, sondern Ganz-Zahnärzte. Und das ist gut so! Prof. Dr. Christoph Benz, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer Foto: axentis.de / Lopata Lernen von den Hygiene- Besten: Von uns! 08 | LEITARTIKEL
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