Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 6

zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (460) Prognoseverschlechterung der Patien- tin führen könnte. Am 30.10.2020 wurde nach anästhe- siologischer Einleitung in entspre- chender Schutzausrüstung die Pan- endoskopie sowie im Anschluss die Tumoroperation als Two-Team- Approach in einem speziell für COVID-19-Patienten bereitgestellten Isolations-Operationssaal des Uni- versitätsklinikums Erlangen vorge- nommen. Zu den notwendigen Schutzmaßnahmen zählten neben obligatorischen FFP-3-Masken für alle im Operationssaal befindlichen Personen zusätzliche Vollsichtschutz- Visiere für das gesamte Operations- team. Nach der temporären Tracheo- tomie wurde eine beidseitige Neck dissection der Lymphknoten-Level I-III nach Robbins sowie eine radikale Mundbodenresektion unter Mitnahme einer knöchernen Unterkiefer-Innen- spange durchgeführt. An den Resek- tionsgrenzen wurden insgesamt vier Schnellschnitte entnommen, die nach Markierung als potenziell infektiöses Material vom Pathologischen Institut des Universitätsklinikums begutach- tet wurden. Nach Bestätigung der tumorfreien Randproben konnte die Rekonstruktion mit einem mikro- vaskulär anastomosierten Radialis- transplantat vom rechten Unterarm durchgeführt werden. Die Unterarm- Entnahmestelle wurde mit einem Vollhauttransplantat aus der rechten Leistenregion gedeckt. Postoperativ wurde die Patientin auf eine bereitgestellte Isolierungseinheit der operativen Intensivstation für COVID-19-Patienten verbracht. Am ersten postoperativen Tag ergab der PCR-Test noch ein grenzwertig nach- weisbares Ergebnis von SARS-CoV-2- RNA nach 38 PCR-Zyklen, das in Rücksprache mit dem Institut für Virologie des Universitätsklinikums Erlangen als geringe Restausscheidung viraler RNA ohne wesentliche Infek- tionsgefahr gewertet wurde. Am zweiten postoperativen Tag ergab die erneute PCR-Analyse erstmalig ein negatives Ergebnis, das am Folgetag bestätigt werden konnte. Der post- operative Wundheilungsverlauf war unauffällig, weshalb die Patientin am dritten postoperativen Tag auf die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirur- gische Normalstation zurückverlegt werden konnte. In Rücksprache mit dem Virologischen Institut war ab diesem Zeitpunkt bei zwei konsekutiv vorliegenden negativen SARS-CoV-2- PCR-Nachweisen keine räumliche Isolierung mehr indiziert. Ein zusätz- lich am 4.11.2020 durchgeführter Test auf SARS-CoV-2-IgG-Antikörper ergab eine quantitativ ausreichende Anzahl vorliegender Antikörper. Der weitere stationäre Verlauf war zeit- gerecht und komplikationslos. In interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den Teams der Pflege, der Physio- therapie, der Ergotherapie und der Logopädie gelang innerhalb kurzer Zeit die Mobilisation und Rehabilita- tion der Sprach- sowie der Schluck- funktion der Patientin. Am drei- zehnten postoperativen Tag konnte die Patientin bei guter Atem- und Schluckfunktion in die ambulante Nachbehandlung entlassen werden. DISKUSSION Das Plattenepithelkarzinom der Mund- höhle stellt die mit Abstand größte Untergruppe der Malignome der Mundhöhle dar. Nach histologischer Sicherung der malignen Läsion be- steht die aktuelle Erstlinientherapie aus der Resektion des Tumors in Ver- bindung mit einer Halslymphknoten- ausräumung sowie notwendigen chi- rurgisch-rekonstruktiven Maßnahmen und einer stadiengerechten adjuvan- ten Behandlung [Wolff et al., 2019]. Aufgrund des aggressiven Wachstums dieser Tumorentität in Kombination mit der bekannten hohen okkulten lymphogenen Metastasierungsten- denz von 20 bis 40 Prozent zählt es zu den wichtigsten Maßnahmen, die Zeitspanne von der Diagnosestellung bis zum Behandlungsbeginn mög- lichst kurz zu gestalten [Sparano et al., 2004]. Mehrere Studien konnten zeigen, dass eine Verzögerung des Therapiebeginns von wenigen Wochen bereits einen signifikanten Progress des Tumorstadiums mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Operabilität sowie das Überleben der Patienten haben kann [Xiao et al., 2018; Hanna et al., 2020]. So konn- ten Murphy et al. hoch signifikante Unterschiede im medianen Gesamt- überleben von Patienten mit Kopf- Hals-Tumoren und Einleitung der chirurgischen Therapie 46 bis 52 Tage nach Erstdiagnose (71,9 Monate) ge- genüber Patienten mit einer Tumor- operation 53 bis 67 Tage (61 Monate) und länger als 67 Tage (46,6 Monate) DR. MED. DENT. ANNE BAUERSACHS Praxis für Oralchirurgie Dr. Anne Bauersachs Bahnhofstr. 43, 96515 Sonneberg Foto: privat Abb. 4: Transplantatkontrolle auf der COVID-19-Isolationseinheit der Interdisziplinären Operativen Intensivstation des Universitätsklinikums Erlangen 14 | ZAHNMEDIZIN

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