Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 6
zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (476) Verbindung gebracht [Daley und Wysocki, 1995]. Im Fall der infizierten Variante kann sich die Begrenzung jedoch aufgrund der entzündlich bedingten Knochenresorption als unscharf darstellen und somit die kli- nische Diagnosestellung erschweren. Radiologisch ebenfalls beschrieben – jedoch deutlich seltener vorkom- mend – wird eine laterale Variante der Zyste ausgehend von einem mesioangulär impaktierten Seiten- zahn mit Zystenausdehnung nach mesial unter halbseitiger Einbeziehung des initiierenden Zahnes inklusive seiner Wurzel sowie einer nach apikal gerichteten Ausdehnung, die die Einbeziehung der Wurzel vortäuscht [Zhang et al., 2010]. Insbesondere bei ausgedehnten Raumforderungen empfiehlt sich die Anwendung einer dreidimensionalen Bildgebung (in der Regel DVT) zur Verbesserung der Übersicht und präoperativen Planung [McCrea, 2009; Ahmad et al., 2012; Deana und Alves, 2017]. Das histo- pathologische Bild der follikulären Zyste variiert in Abhängigkeit zum Entzündungsstatus und zeigt bei Entzündungsfreiheit einen dünnen, mit unverhorntem Epithel ausgeklei- deten (2-4 Zelllagen), flüssigkeits- gefüllten Zystenbalg [Neville et al., 2016]. Nebenbefundlich zeigen sich häufig inselartig angeordnete Zell- nester odontogener Epithelreste, die durch den unerfahrenen Pathologen als Ameloblastom fehlinterpretiert werden können. Im entzündeten Sta- dium ist das Vorkommen keratinisier- ter Zelllagen häufiger beschrieben, wobei hierbei die Differenzierung zur Keratozyste besonders wichtig ist [Neville et al., 2016]. Aufgrund der stetigen Größen- zunahme mit der Affektion von Nachbarstrukturen (Verlagerung von Nachbarzähnen mit Okklusions- störungen, Druck auf den Kanal des N. alveolaris inferior mit Sensibilitäts- störungen sowie konstante Knochen- resorption durch Druckatrophie mit erhöhter Frakturgefahr des Unterkie- fers) gilt das chirurgische Vorgehen mit Elimination der Zyste weiterhin als der therapeutische Goldstandard [Motamedi und Talesh, 2005]. Die verschiedenen Therapiekonzepte richten sich hierbei maßgeblich nach der Größe und der Lokalisation der Zyste und reichen von der einfachen Enukleation des Zystenbalgs als Zys- tektomie über die primäre Dekom- pression mit sekundärer Enukleation nach Größenreduktion bis hin zur Marsupialisation im Sinne einer Zystostomie. Letztere hat den Nach- teil der deutlich erhöhten Behand- lungsdauer und setzt die generelle Compliance des Patienten voraus [Martinez-Perez und Varela-Morales, 2001; Motamedi und Talesh, 2005; Neville et al., 2016]. Während kleinere Zysten vornehm- lich via Zystektomie und Extraktion des retinierten Zahns (bei im Durch- bruch befindlichen Zähnen sollte eine isolierte Zystenbalgentfernung mit kieferorthopädischer Eruptions- unterstützung zum Zahnerhalt in Er- wägung gezogen werden) behandelt werden, ist die Zystostomie zur pri- mären Reduktion des knöchernen Zugangstraumas mit sekundärer Zys- tektomie nach histopathologischer Diagnosesicherung das Therapiekon- zept der Wahl [Neville et al., 2016]. Da im vorliegenden Fall die vestibuläre Knochenlamelle bereits pergament- artig ausgedünnt war und sich der Zystenbalg problemlos in toto enu- kleieren ließ (Abbildungen 3a bis 3d), entschied man sich hier für eine pri- märe Zystektomie. Eine engmaschige andauernde Nachsorge ist nach histo- pathologischer Befundsicherung nicht zwingend erforderlich und kann im Rahmen der allgemeinen zahnärzt- lichen Routineuntersuchungen durch- geführt werden. \ FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Follikuläre Zysten gehören zu den odontogenen, entwicklungsgeschichtlich bedingten Zysten und stellen hierbei die häufigste Form dar. \ Follikuläre Zysten sind nach der radi- kulären Zyste mit 20 Prozent die zweit- häufigste Zystenform des kraniofazialen Knochens. \ Die am häufigsten betroffenen Regionen sind in absteigender Reihenfolge regio 13/23 ≥ 35/45 ≥ 18/28 ≥ 34/44 ≥ 15/25 sowie die Unterkiefer-Eckzähne (33 und 43). \ Differenzialdiagnostisch muss die follikuläre Zyste von der odontogenen Keratozyste sowie vom Ameloblastom abgegrenzt werden. \ Follikuläre Zysten erscheinen in der radiologischen Darstellung als glatt begrenzte, uni- oder multilokuläre, die Krone eines retinierten oder teil- retinierten Zahns zirkumferentiell umgebende Aufhellung > 4 mm. \ Das chirurgische Vorgehen gilt als Goldstandard, das Therapiekonzept sollte aber in Abhängigkeit von Größe und Lokalisation der Zyste gewählt werden (Primäre Enukleation/ Zystektomie versus primäre Dekompres- sion und sekundäre Enukleation versus primäre Marsupialisation/Zystostomie). ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. Quelle: Universitätsmedizin Mainz Abb. 4: Histologisches Bild in H.E.-Färbung mit 10x (a) und 20x (b) Vergrößerungsfaktor a b 30 | ZAHNMEDIZIN
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