Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 7

zm 111, Nr. 7, 1.4.2021, (586) BARIATRISCHE ZAHNMEDIZIN XXL-Patienten in der Praxis Christoph Benz Was tun mit einem 200-kg-Mann, der „nur“ eine Füllung oder PZR braucht? Schwere Patientinnen und Patienten stellen Zahnarztpraxen vor besondere Herausforderungen. Und die Zahl stark übergewichtiger Patienten steigt. Unter dem Begriff „bariatrische Zahnmedizin“ wird vorrangig das Management dieser Patienten verstanden, doch beginnen Zahnärztinnen und Zahnärzte zunehmend auch die Ursachen von Übergewicht in den Fokus zu nehmen. D er Begriff „Bariatrie“ entstand in den 1960er-Jahren aus den griechischen Wörtern für Gewicht (báros) und Arzt (iatrós) und fasst alle Aspekte der Übergewichts- behandlung zusammen. Für uns noch ungewohnt, hat sich im englisch- sprachigen Raum inzwischen die Be- zeichnung „bariatric dentistry“ etab- liert. Dabei ist die Datenlage zur Häu- figkeit von Übergewicht, insbesondere den extremen Formen, unzureichend. Übergewicht wird in vielen Gesell- schaften eher negativ gesehen, so dass Selbstangaben nicht immer richtige Zahlen liefern. Deutschlandweit zuver- lässiger ist die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) des Robert Koch-Instituts. DEGS1 untersuchte Menschen im Alter von 18 bis 79 Jahren und fand von 2008 bis 2011 statt, DEGS2 ist in Planung. Übergewicht besteht ab einem Body- Mass-Index (BMI) von 25 (kg/m 2 ), ab 30 spricht man von Adipositas Grad I, ab 35 von Grad II und ab 40 von Grad III. DEGS1 zeigt, dass zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig sind. Ein Viertel der Erwachsenen ist adipös. 1,2 Prozent der Männer und 2,8 Pro- zent der Frauen in Deutschland er- reichen den höchsten Adipositas- Grad III. Insgesamt umfasst dieser höchste Grad damit 1,1 Millionen Erwachsene, oder in der Inzidenz- angabe, die wir von Corona kennen, 1.340 von 100.000 Einwohnern. Zu den besonders extremen Formen von Adipositas gibt es dann nur noch Schätzungen. Der Anästhesio- loge Klaus Lewandowski schätzte 2008, dass bereits damals 250.000 Deutsche 200 kg oder mehr auf die Waage brachten. Das wären 300 von 100.000 Einwohnern. Die Häufigkeit von Adipositas steigt – rasant in den USA, sehr deutlich in England und auch bei uns, insbeson- dere bei Männern. Die deutsche Feuerwehr macht sich deshalb zu- nehmend Sorgen, dass ihr die Trans- portkapazitäten fehlen. Vermehrt werden XXL-Rettungswagen in Dienst gestellt. DIE GRÖßTE SORGE: DER BEHANDLUNGSSTUHL Nach DIN EN ISO 6875 sollen Zahn- arztstühle eine Beladungskapazität von 135 kg haben. Manche Hersteller bieten etwas mehr, Details ergeben sich im Einzelfall aus der Bedienungs- anleitung oder lassen sich erfragen. Damit erreicht der durchschnittlich- große deutsche Mann die Beladungs- grenze ab einem BMI von 43, eine Frau ab einem BMI von 49. Wenn ein solcher Mann oder eine solche Frau im Behandlungszimmer steht, geben uns Juristen vermeint- lich einfache Ratschläge: Wir dürfen und müssen den Patienten nach seinem Gewicht fragen und gegebe- nenfalls „nein“ zur Behandlung ab- seits von Notfallmaßnahmen sagen. Wer seinen Behandlungsstuhl wis- sentlich oder fahrlässig überlastet, verstößt gegen die Medizinprodukte- Betreiberverordnung und ist für eventuelle gesundheitliche oder tech- nische Schäden verantwortlich. Auch Foto: AdobeStock_Krakenimages.com 32 | PRAXIS

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