Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 7
zm 111, Nr. 7, 1.4.2021, (632) kokkus sanguinis, mitis und mutans besiedelt. Zunge und Wangen- schleimhaut wird vermehrt von Streptokokkus salivarius und Veillo- nella kolonisiert, während die übri- gen gingivalen Gewebe vor allem von Prevotella-Spezies, Porphyromonas, Fusobacterien und Spirochären besie- delt werden. Insgesamt scheint sich bei odontoge- nen Infektionen das Gefährdungs- potenzial zu erhöhen – sowohl im Hinblick auf den Schweregrad als auch auf höhere Resistenzzahlen gegen gängige Antibiotika und auf eine Verschiebung der Zusammen- setzung der Flora. So zeigten sich in eigenen Untersuchungen bei fast jedem zweiten isolierten Strepto- kokkusstamm und bei beinahe jedem vierten Staphylokokkusstamm Resis- tenzen gegen gängige Antibiotika- präparate. Hinzu kamen Resistenzen gegen sogenannte Reserveantibiotika, die für Patienten zurückgehalten werden, bei denen die routinemäßig verwendeten Präparate aufgrund von ausgeprägten Resistenzlagen keine Wirkung mehr zeigen. Sowohl gegen Meropenem als auch gegen Teico- planin und Vancomycin ließen sich in mehreren Fällen Bakterien mit Re- sistenzen aus odontogenen Abszessen isolieren [Heim et al., 2020]. Im Umkehrschluss bedeutet dies für die Behandlung von Abszessen in der Praxis, dass Resistenzen gegen beispielsweise Penicillin keine Aus- nahme sind und gegebenenfalls rasch progrediente und schwere Verläufe von odontogenen Abszessen mit den bekannten Präparaten zum Teil nur schwer oder nicht in den Griff zu be- kommen sind. Um so mehr ist eine suffiziente chirurgische Therapie in Fällen von Abszedierungen angezeigt. Eine Früherkennung oder klinische Differenzierung, mit welcher Art von Erreger man es zu tun hat, gibt es leider klinisch nicht. Erst der Abstrich und die Bakterienanzucht kann die Identifizierung möglich machen, dauert aber in jedem Fall mehrere Tage. SELTENE ERREGER Neben den üblichen pathogenen Mikroorganismen haben wir in einer groß angelegten Studie einige überraschende und seltene Abszess- auslösende Erreger isolieren und identifizieren können [Heim et al., 2020]. Hafnia alvei Dieses gramnegative, fakultativ anae- robe Stäbchenbakterium gilt als weit- hin harmloser Darmbewohner. Der Keim wird selten als Erreger für Infek- tionen verantwortlich gemacht. In der Literatur wird in einzelnen Ka- suistiken von Harnwegsinfektionen, Pneumonien, Katheterinfektionen und nosokomial erworbenen Infek- tionsgeschehen berichtet [Günthard und Pennekamp, 1996]. \ Das Bakterium aus der Ordnung der Enterobacterales isolierten wir aus einem perimandibulären Abszess eines gesunden 53-jähri- gen Patienten, der in Intubations- narkose operiert und insgesamt vier Tage unter stationären Bedingungen behandelt wurde. Hafnia alvei zeigte in diesem Fall Antibiotikaresistenzen gegen Ampicillin, Ampicillin/Sulbactam (Unacid = das von uns verwendete empirische Breitspektrumantibioti- kum) und Piperacillin/Tazobactam. Nach unserer Recherche ist dieser der bisher erste beschriebene Fall, der als Auslöser eines odontogenen Abszesses beschrieben wurde. Nocardia asiatica Dieser gramnegative, stäbchenförmige und säurefeste bakterielle Erreger kommt ubiquitär im Boden und in feuchten Biotopen vor. Es ist eine ganze Reihe von Erregern aus der Familie der Nocardien bekannt, die meist im Sinne einer „Nocardiose“, immunsupprimierte Patienten be- fallen. Bekannt ist beispielsweise die Infek- tion durch in Blumenerde – beson- ders tropischer Pflanzen – vorkom- menden Nocardien, die in die Lunge gelangen und von hier aus Infektio- nen auslösen können. Die Literatur weist hier vor allem auf eine Reihe von schwer verlaufenden Befällen des zentralen Nervensystems, Enzephali- Foto: MKG, Universitätsklinikum Bonn Abb. 5: Spülung mit Betaisadona und NaCl bis zu dreimal täglich für die suffiziente lokale Eradizierung der Keime PROF. DR. DR. FRANZ-JOSEF KRAMER Universitätsklinikum Bonn, Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Venusberg – Campus 1, Haus 11, 2. OG, 53127 Bonn Foto: privat 78 | ZAHNMEDIZIN
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