Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 8

zm 111, Nr. 8, 16.4.2021, (670) W ir atmen auf!“ – mit diesen Worten fasst der Londoner Zahnarzt Dr. Mike Wilson die derzeiti- ge Stimmung in den britischen Zahnarztpraxen zusammen. Grund für das tiefe Durchatmen: Zahnärzte, Praxisassistentinnen und -assistenten und andere Praxis- angestellte sind nach Angaben des Londoner Gesund- heitsministeriums inzwischen zum großen Teil gegen CO- VID-19 geimpft. DIE WIRTSCHAFTLICHEN FOLGEN SIND IMMENS Der staatliche britische Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) hatte deutlich früher als Deutsch- land und andere EU-Länder mit Massenimpfungen gegen COVID-19 begonnen. Bereits Anfang Dezember 2020 ging es los und bis Ende März waren mehr als 30 Millionen Menschen auf der Insel geimpft. Zahnärzte und Praxis- personal gehörten und gehören weiter zur zweiten Impf- gruppe. Die vom Gesundheitsministerium nach Rück- sprache mit Virologen und Epidemiologen bereits im ver- gangenen Herbst festgelegte Impfreihenfolge sorgte dafür, dass in Zahnarztpraxen zwischen London und Liverpool bereits früh vakziniert wurde. Bis Ende Februar wurde allen Zahnärzten und jedem, der in britischen Zahnarztpraxen arbeitet und der dort direkt oder indirekt mit Patienten Kontakt hat, ein Impfangebot unterbreitet. Zwar besteht keine gesetzliche Impflicht. Dennoch sei die Akzeptanz der Impfungen – gerade im zahnärztlichen Sektor – „sehr hoch“. So ergab eine Blitzumfrage der zm in Londoner Praxen, dass in vielen Praxen 90 Prozent oder mehr des Personals geimpft sind. Obwohl diese Zahlen nicht repräsentativ sind, zeichnen sie doch ein Bild des zahnärztlichen Sek- tors, der schnell und verantwortungsvoll auf die Heraus- forderungen der Pandemie reagierte, urteilen gesundheits- politische Beobachter. Wie in Deutschland hat die Pandemie in Großbritannien in den Zahnarztpraxen großen wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Das gilt laut British Dental Association (BDA) sowohl für private als auch für staatliche Praxen. Gespräche mit gänzlich oder überwiegend privat praktizierenden briti- schen Zahnärzten ergaben, dass Privatpraxen oftmals be- sonders hart von der Pandemie und deren Folgen getroffen sind. Einige Praxen hat das inzwischen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben. „Dies sind und bleiben sehr schwere Zeiten für Zahnärzte“, teilte der BDA mit. Die Organisation unterstützt ihre Mitglieder seit Monaten nach Kräften mit aktuellen Informationen zum Pandemiege- schehen und dessen Folgen für den Berufsstand. Die britische Regierung, die anders als die deutsche sehr früh mit konkreten finanziellen Hilfsangeboten an Zahn- ärzte und andere Berufsgruppen auf die Pandemie reagierte, verlängerte die Kurzarbeithilfen („Furlough Scheme“) bis September 2021. Konkret bedeutet das, dass Praxisange- stellte 80 Prozent ihres aktuellen Gehalts erhalten, auch wenn sie nicht arbeiten. Es gibt eine Obergrenze von 2.500 Pfund (rund 2.800 Euro). Hinzu kommen diverse finanzielle Hilfspakete für die einzelnen Praxen, die in der Regel recht unbürokratisch und schnell ausgezahlt werden. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Sehr kleine Praxen erhielten Extrahilfen von 10.000 Pfund (16.000 Euro) zusätzlich. DIE ZAHNMEDIZIN IST NICHT MEHR ZWEITRANGIG Gerade zu Beginn des COVID-Impfprogramms des NHS hagelte es Kritik aus der Zahnärzteschaft am Umgang der Politik mit dem Berufsstand. So mussten zum Beispiel im ersten Lockdown Zahnarztpraxen schließen, da die Regierung von Boris Johnson sie als „nicht dringend notwendig“ ansah. Zahnärzte fühlten sich ungerecht be- handelt, denn andere Arztpraxen durften weiter Patienten betreuen. Seit Ende des ersten Lockdowns im Juni 2020 dürfen Zahnärzte in Großbritannien wieder Patienten behandeln, obwohl es zwischendurch immer wieder lan- desweite Lockdowns gab. „In Großbritannien wird die Zahnmedizin immer noch von vielen als zweitrangig angesehen“, sagt Wilson. „Der Zahnarztbesuch ist fast wie ein Besuch beim Schönheits- spezialisten!“ Inzwischen freilich hat die Londoner Regie- rung ihre Prioritäten geändert und behandelt Zahnärzte ZAHNÄRZTE IN GROßBRITANNIEN „We are relieved“ Arndt Striegler Zahnärzte und ihr Praxispersonal in Großbritannien sind mitt- lerweile zum großen Teil gegen COVID-19 geimpft. Bis Ende Februar haben alle Praxen dort ein Impfangebot bekommen. Die Akzeptanz für die Impfungen ist sehr hoch und der zahnärztliche Sektor hat schnell auf die Herausforderungen der Pandemie reagiert. Foto: AdobeStock_bluedesign ARNDT STRIEGLER Freier Journalist, London kurtstriegler@gmail.com

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