Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 8

zm 111, Nr. 8, 16.4.2021, (734) abgetragen und der pathohistologi- schen Untersuchung zugeführt. Auch intraoperativ zeigte sich eine ausgeprägte ossäre Destruktion des Hartgaumens und eine Infiltration der Nasenhaupthöhle. Zum vorüber- gehenden Defektverschluss wurde ein Überknüpfverband am Gaumen des Patienten fixiert. Die histopathologische Untersu- chung bestätigte den Verdacht der Myelommanifestation am Gaumen und ergab die Diagnose eines ober- flächlich ulzerierten, plasmoblas- tisch differenzierten Plasmazellmye- loms. Die ergänzenden immun- histochemischen Untersuchungen ergaben eine monotypische Expres- sion der Immunglobulinleichtkette Kappa. Der stationäre, postoperative Heilungsverlauf gestaltete sich unter intravenöser, antibiotischer Thera- pie und Nachblutungskontrolle komplikationslos - der Patient konn- te zeitnah entlassen werden. Im Rahmen der ambulanten Nachbe- handlung zeigte sich eine komplika- tionslose Wundheilung, so dass der Überknüpfverband am Gaumen nach zehn Tagen entfernt werden konnte. Nach histologisch gesichertem Mye- lomrezidiv erfolgte die unmittelbare Kontaktaufnahme mit der Klinik für Hämatologie und Onkologie in unserem Hause. Dort wurde die on- kologisch-medikamentöse Therapie intensiviert und eine lokale Radio- therapie des Gaumens zusammen mit der Abteilung für Strahlenthera- pie geplant. DISKUSSION Das Multiple Myelom ist eine mali- gne Erkrankung, die sich durch eine unkontrollierte Vermehrung von Plasmazellen im Knochenmark äu- ßert. Sie gehört zu den häufigsten malignen Neoplasien des Knochens und des Knochenmarks. Im Rahmen der Erkrankung kommt es zur Bildung monoklonaler Antikörper, die sich im Blutserum oder Urin detektieren lassen [Kyle und Rajku- mar, 2004; Röllig et al., 2015]. Das Erkrankungsalter liegt im Durch- schnitt zwischen 60–70 Jahren [Kyle et al., 2003]. Durch die Gabe von Bisphosphona- ten im Rahmen der antiosteolyti- schen Therapie und zur Frakturpro- phylaxe können sich bisphosphonat- assoziierte Kiefernekrosen (BRONJ) entwickeln. Somit ist eine Vorstel- lung der Myelom-Patienten in der hauszahnärztlichen oder kieferchirur- gischen Praxis keine Seltenheit. Bei Verdacht oder zum Ausschluss einer Kiefernekrose werden die Patienten häufig zur Mitbeurteilung auch direkt durch den behandelnden Onkologen zum Zahnarzt oder Mund-, Kiefer- Gesichtschirurgen überwiesen. Die intraorale Manifestation eines Multiplen Myeloms, wie in diesem Fall beschrieben, wird in der Literatur uneinheitlich mit einer Häufigkeit von 10 Prozent bis zu 70 Prozent an- gegeben [Furutani et al., 1994; Witt et al., 1997; Gholizadeh et al., 2016; Fei- tosa É et al., 2020]. Hierbei ist vor allem der Kieferknochen in bis zu 30 Prozent der Fälle betroffen [Beau- mont et al., 2020]. Bei der klinischen Untersuchung der Mundhöhle kann sich das Multiple Myelom in Form von Zahnschmerzen, Parästhesien, Zahnlockerungen, Missempfindun- gen und Schleimhautschwellungen äußern [Cardoso et al., 2014]. Auf- grund dessen kommt der zahnmedi- zinischen Diagnostik im Rahmen einer multidisziplinären Behandlung von Patienten mit Multiplem Mye- lom eine wichtige Bedeutung zu. Sie betrifft eine initiale umfassende Diag- nostik des Zahnstatus und der Mund- schleimhäute sowie die Betreuung von Myelompatienten während einer Chemo- beziehungsweise Immun- therapie und regelmäßige anschlie- ßende Verlaufskontrollen [Dabell et al., 2012; Feitosa É et al., 2020]. Dabei gilt es, die beschriebenen Nebenwir- kungen wie medikamentenassoziierte oder radiogene Osteonekrosen der Kiefer bei Patienten unter Myelom- therapie in der zahnärztlichen Praxis zu bedenken [Kyle und Rajkumar, 2004]. Die Herausforderung ist, Zahn- beziehungsweise Schleimhaut- schmerzen, Schwellungen und Infek- tionen unklarer Ursache frühzeitig zu erkennen sowie eine zeitnahe weitere Diagnostik und Weiterbehandlung einzuleiten. UNIV.-PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. JOACHIM E. ZÖLLER Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Universitätsklinik Köln Kerpener Str. 62, 50937 Köln Foto: Michael Wodak, MedizinFotoKöln FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Aufgrund medikamentenassoziierter Kiefernekrosen stellen sich Patienten mit Multiplem Myelom auch in der zahnärztlichen beziehungsweise kie- ferchirurgischen Praxis vor. \ Intraorale Manifestationen des Multi- plen Myeloms sind keine Seltenheit und können als Erstmanifestation oder bei bereits diagnostiziertem Multiplem Myelom auftreten. \ Bei einer Mitbeteiligung der Kiefer sollte die Behandlung in einem inter- disziplinären Zentrum durch Hämato- logen, MKG-Chirurgen und Strahlen- therapeuten erfolgen. 76 | ZAHNMEDIZIN

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