Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (782) beseitigung bei O. Eine signifikante Verschlechterung ihres Befunds durch ein Aufschieben der Behandlung um einige Stunden ist indes nicht zu er- warten. Zudem verweigert O. die für sie niedrigschwellig zu erreichende Mitarbeit, um P. in die Lage zu verset- zen, ihre Beschwerden zu beseitigen. P. lehnt ja nicht die Behandlung an sich ab, sondern fordert aufgrund der allgemeinen Erlasslage und im Sinne des Infektionsschutzes einfach umzu- setzende Hygienemaßnahmen in der Praxis. Es ist O. zuzumuten, entgegen ihrer eigentlichen Überzeugung einen Mundschutz zu tragen. Das Problem der angegebenen Unverträglichkeit gegen Desinfektionsmittel ließe sich durch das Tragen von Einweghand- schuhen für den Zeitraum des Praxis- aufenthalts umgehen. Auf diese Weise könnte der Patientin ein Weg gebo- ten werden, ihrer Mitwirkungspflicht bei der Gewährleistung des Infektions- schutzes in der Praxis nachzukommen und die von ihr gewünschte und ge- forderte Behandlung zu erhalten. Sofern P. und das Team dazu bereit wären, gäbe es auch die Möglichkeit, der Patientin einen Termin nach der Sprechstunde anzubieten und ihr bis dahin mittels Schmerzmedika- tion eine Linderung zu verschaffen. Auf diese Weise könnte ihrem Be- handlungswunsch beziehungsweise -bedürfnis ohne Gefährdung weiterer Personen nachgekommen werden. Ein Infektionsrisiko für das Praxis- team bestünde in diesem Fall aller- dings weiterhin. Sollte die Patientin auch dieses Vorgehen ablehnen, wäre aufgrund der oben dargestellten Güterabwägung die Behandlung aus meiner Sicht abzulehnen, zumindest bis alle weiteren Patienten die Praxis verlassen haben. Sollte es zu einem Rechtsstreit kom- men, würde ich mich auf die Erlass- lage COVID-19, die dargelegte Argu- mentationskette und die fehlende Mitarbeit der Patientin berufen. Da die Patientin auch kein ent- sprechendes Attest vorweist, das eine medizinische und juristische Recht- fertigung für den Verzicht auf das Tragen einer Maske liefert, wäre ich in einer solchen Situation bezüglich des Urteils zuversichtlich. Zudem hat jeder Zahnarzt das Hausrecht in seiner Praxis, das im vorliegenden Fall durch den „lautstarken Vortrag“ bereits verletzt wurde. \ PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen University Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2 Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat KOMMENTAR 2 P. darf eine Schmerzbehandlung verweigern U m im vorliegenden Fall zu einer Bewertung zu kommen, erscheint es sinnvoll, zunächst die verschiedenen Anforderungen zu betrachten, die an P. zu stellen sind. Hierbei ist zwischen medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten zu unterscheiden: Aus medizinischer Sicht hat P. grundsätzlich Sorge zu tragen, dass ihr Team und ihre Patienten in der Pandemiesituation bestmöglich ge- schützt sind. Medizinisch betrachtet gibt es eine hinreichende klinische Evidenz dafür, dass die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) zumindest einen relativen gesund- heitlichen Schutz bieten und das Infektionsrisiko nachhaltig senken. Da P. die Praxis führt und damit letzt- lich für die Abläufe in der Praxis ver- antwortlich ist, ist es auch an ihr, im Rahmen ihres Heilauftrags und ihrer Sorgfaltspflicht als Behandlerin die Umsetzung dieser protektiven Maßnahmen sicherzustellen. Aus rechtlicher Sicht stellt sich die Situation nahezu deckungsgleich dar: Das aktuell gültige, von den poli- tischen Entscheidungsträgern ver- anlasste Hygienekonzept sieht eben- diese Verhaltensregeln (AHA-Regeln) vor, das heißt Zahnärzte sind auch rechtlich gehalten, ihre Praxisabläufe 16 | PRAXIS

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